Der Morbus Bechterew ist eine sehr heimtückische, hinterlistige Erkrankung, weil es sich dabei um eine Autoimmunerkrankung handelt. Das heißt, dass sich das eigene Immunsystem gegen die Zellen richtet, in diesem Fall gegen die Knochen- und Knorpelzellen. Daher ist die Erkrankung auch schwer in den Griff zu kriegen.
— Dr. Tobias Weigl
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Quellen ansehenBei dem Morbus Bechterew, auch bekannt als Rundrücken oder abfällig Rundbuckel, handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung, die zu knöchernen Veränderungen vor allem am Achsenskelett führt. Im Rahmen der Diagnose ist es von besonderer Bedeutung, dass der so entstehende Schmerz im Rücken gegen andere Formen des Rückenschmerzes abgegrenzt wird. Die Therapie des Morbus Bechterew verfolgt drei wesentliche Aspekte: die Reduktion der Entzündung, die Erhöhung der Beweglichkeit und natürlich die Linderung der Schmerzen. Dabei kommt ein ganzheitliches Therapiemodell zum Einsatz, das Physiotherapie, Medikamente, Physikalische Therapie und weitere Bausteine umfasst. Als letztes Mittel kann eine Operation zur Versteifung unternommen werden. Da die Erkrankung bis heute nicht heilbar ist, erfolgt die Therapie lebensbegleitend.
Was ist Morbus Bechterew und was sind die Ursachen für die Erkrankung?
Bei dem Morbus Bechterew handelt es sich um eine chronisch-entzündliche, schmerzhafte Erkrankung, die vor allem die Wirbelsäule betrifft. Der Mediziner bezeichnet die Erkrankung als Spondylitis ankylosans (lat. bedeutet in etwa verbiegende/versteifende Wirbelentzündung). Dabei ergeben sich Entzündungen sowohl an den Wirbelgelenken, an den Gelenken zwischen Wirbeln und Rippen als auch zwischen Kreuz- und Dammbein. Dies kann eine Verknöcherung (sog. ‚Ossifikation‘) der Gelenkumgebung sowie eine knöcherne Überbrückung zwischen den einzelnen Gelenken zur Folge haben, was im schlimmsten Fall in einer vollständigen Versteifung des Rückens, meist in gebeugter Haltung, resultiert. Überdies kann der Morbus Bechterew auch Gelenke abseits des Achsenskeletts sowie Sehnenansätze, Augen oder Organe befallen.
Die Ursachen des Morbus Bechterew sind, so wie bei der ähnlichen rheumatoiden Arthritis, weitgehend unbekannt. Bisher weiß man in der Medizin lediglich, dass der Morbus Bechterew vermehrt familiär auftritt, also eine genetische Veranlagung besteht, welche die Wahrscheinlichkeit erhöht, an Morbus Bechterew zu erkranken. Dahingehend existiert das Erbmerkmal HLA-B27, das bei etwa 90 Prozent der Morbus-Bechterew-Patienten zu finden ist. Es gilt aber auch: Nicht jeder, der dieses Erbmerkmal aufweist, erkrankt auch an Morbus Bechterew. Deutschlandweit weisen nämlich etwa 8 Prozent der Bevölkerung dieses Merkmal auf. Davon erkranken wiederum nur 10 Prozent an Morbus Bechterew. Überdies wird gemutmaßt, dass Umweltfaktoren und Infektionen eine Rolle bei der Erkrankung spielen. Allerdings kann auch in diese Richtung nichts Genaueres gesagt werden.
Video: Morbus Bechterew erklärt
Was ist eigentlich Morbus Bechterew? Woran erkennt man, dass man selbst davon betroffen sein könnte? Wenn man ihn hat, wie geht man damit um? Diese und weitere Fragen erklärt Dr. Tobias Weigl in diesem Video.
Die Symptome: Woran bemerkt man Morbus Bechterew?
Patienten mit Morbus Bechterew klagen oft über Rückenschmerzen, vor allem im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule. Dabei entstehen bzw. verschlimmern sich die Schmerzen über einige Wochen in einem schleichenden Prozess. Besonders stark sind die Schmerzen in den frühen Morgenstunden bzw. in der zweiten Nachthälfte. Diesen Schmerzen wird oft mit einem Umherlaufen begegnet, da sich die Schmerzen zumeist durch Bewegung bessern. Dies führt letztlich zu Müdigkeit und Benommenheit am Morgen. Hinzu kommt dann auch ein Steife-Gefühl der Wirbelsäule, man spricht in diesem Zusammenhang von Morgensteifigkeit. Charakteristisch für Morbus-Bechterew-Patienten ist: Nehmen sie Präparate aus der Gruppe der NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika), also bspw. Ibuprofen oder Diclofenac, können sie eine extreme Besserung der Schmerzen feststellen.
Video-Exkurs: Ibuprofen und Diclofenac
Möchten Sie mehr über die NSAR Ibuprofen und Diclofenac erfahren? Im nachfolgenden Beitrag widmet sich Schmerztherapeut Dr. Tobias Weigl den Wirkungen und Nebenwirkungen der im Handel frei erhältlichen Präparate.
Mehr über die Auswirkungen dieser Medikamente auf unser Herz und weitere damit zusammenhängende Gefahren erfahren Sie im nachfolgenden Beitrag im Gespräch zwischen Dr. Tobias Weigl und Dr. Heart.
Wen kann es betreffen?
Schätzungen zufolge erkrankt in Mitteleuropa etwa ein halbes Prozent der Erwachsenen an Morbus Bechterew, inklusive der nicht diagnostizierten Fälle. In Deutschland wird bei etwa 0,1–0,2 Prozent die Diagnose Morbus Bechterew gestellt, was etwa 100.000–150.000 Patienten entspricht, bei denen die Beschwerden so stark ausgeprägt sind, dass eine eindeutige Diagnose möglich ist.
Der Morbus Bechterew zählt zu den entzündlichen Wirbelsäulenkrankheiten (sog. ‚Spondylarthritiden‘), an denen deutschlandweit etwa 1 Million Menschen erkrankt sind.
Vom Morbus Bechterew betroffen sind Männer und Frauen gleichermaßen. Am häufigsten nimmt die Erkrankung zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr ihren Anfang.
Die Arthrose der Wirbelgelenke (sog. ‚Spondylarthrose‘) zählt nicht zu den Spondylarthritiden, da es sich dabei um eine degenerative, nicht-entzündliche Erkrankung handelt. Mehr über diese Form der Arthrose erfahren Sie hier.
Was tut der Arzt? Teil 1: Die Diagnose
Sobald man einen Arzt aufsucht, erfolgt in der Regel immer zunächst das Patienten- bzw. Anamnesegespräch, in welchem der Arzt sich über die Beschwerden des Patienten erkundigt. Wie und wann sind die Schmerzen aufgetreten? In welchem Fall bessern sie sich?
Darauf folgt die klinische Untersuchung. Bestehen bereits Anzeichen auf einen Rundrücken? Wie beweglich ist die Wirbelsäule? Dazu werden einige Tests gemacht, die unter anderem eine Messung des Brustumfangs sowie eine Bestimmung der Neigefähigkeit der Halswirbelsäule umfassen. Entstehen Schmerzen bei Druckausübung auf das Kreuz-Darmbein-Gelenk, kann dort eine Entzündung vermutet werden.
Wichtig für die Diagnose des Morbus Bechterew ist auch die Laboruntersuchung. Dabei werden verschiedene Entzündungsparameter, das zuvor erwähnte Erbmerkmal HLA-B27 und der sogenannte Rheumafaktor ermittelt. Dies ist wichtig für die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen, denn der Rheumafaktor ist bei Morbus Bechterew immer negativ, also nicht vorhanden.
Bei dem Rheumafaktor handelt es sich um einen Antikörper, der Teil der Rheuma-Diagnose ist. Etwa 50 Prozent der Patienten mit rheumatoider Arthritis weisen einen positiven Rheumafaktor auf.
Letzten Endes erfolgt im Rahmen der Diagnostik noch die Bildgebung, welche die Erstellung einer Röntgenaufnahme und die Magnetresonanztomografie (MRT) umfasst. Dort lässt sich im fortgeschrittenen Stadium des Morbus Bechterew eine sogenannte Bambus-Form erkennen, die Wirbelsäule ähnelt optisch einem Bambusstab. Dies ist das Ergebnis der Fusion der einzelnen Wirbelgelenke.
Morbus Bechterew
- Deutschlandweit etwa 100.000–150.000 Menschen betroffen
- Die Erkrankung beginnt meist zwischen dem 15. Und 30. Lebensjahr
- Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen
Symptome
- Rückenschmerzen
- Schmerzen im unteren Rückenbereich
- Schleichend schlimmer werdende Schmerzen
- Starke Schmerzen in den frühen Morgenstunden bzw. der zweiten Nachthälfte
- Schmerzen haben sich durch Bewegung gebessert
- Morgensteifigkeit
- Starke Verbesserung der Schmerzen durch Einnahme von NSAR (z. B. Ibuprofen oder Diclofenac)
Was tut der Arzt? Teil 2: Die Behandlung
Als wichtigste Therapieziele gelten:
- Die Reduktion der Entzündung
- Die Erhöhung der Beweglichkeit sowie die Verringerung der Versteifungstendenz
- Die Reduktion der Schmerzen
Daher ist es vor allem bei Morbus-Bechterew-Patienten wichtig, die Therapie ganzheitlich zu gestalten. Das bedeutet, dass sowohl schulmedizinische Aspekte wie Medikamente, aber auch alternative Ansätze wie Elektrotherapie Anwendung finden.
Konkret umfasst eine ganzheitliche Morbus-Bechterew-Therapie:
- Physiotherapie und Krankengymnastik inklusive Bechterew-spezifischem Sport, z. B. Volleyball
- Physikalische Therapie, bspw. Elektrotherapie
- Medikamente, die stufenweise gesteigert werden. Man beginnt mit den bereits erwähnten NSAR, steigert dann eventuell auf Methotrexat und TNF-α-Blocker. Die beiden zuletzt genannten Medikamente kommen mit einer weitaus höheren Potenz als NSAR daher, sind also sozusagen wirkstärker.
- Als letztes Mittel (sog. ‚Ultima Ratio‘) gilt eine Operation, bei der die Wirbelsäule in der Regel versteift wird.
Tipps für den Umgang mit Morbus Bechterew
Eine gerade Sitzhaltung
Sie sollten stets darauf achten, gerade zu sitzen, auch wenn es Sie einige Anstrengung kostet. Die Wirbelsäule tendiert dazu, nach vorne zu kippen, was man durch ein gerades Sitzen auszugleichen versuchen kann.
Bechterew-gerechter Arbeitsplatz
Am Arbeitsplatz sollte keine Tätigkeit vornüber gebeugt stattfinden. Versuchen Sie, permanent die Position zu wechseln, indem sie stehen, gehen und sich bewegen. Bechterew-Patienten sollten unter keinen Umständen vier oder mehr Stunden am Stück sitzend verbringen.
Hinlegen in der Mittagspause
Da bei Morbus Bechterew die Tendenz besteht, in eine vornüber gebeugte Haltung zu verfallen, sollte man versuchen, die Wirbelsäule durch Hinlegen auf den flachen Boden zu strecken. Dies sollten Sie nach Möglichkeit täglich für 10–20 Minuten tun. Viele Patienten empfinden diese „Übung“ als besonders hilfreich.
Das richtige Bett
Sie sollten darauf achten, dass das Bett fest oder gar „hart“ ist und nicht durchhängt.
Große Schritte
Morbus-Bechterew-Patienten sollten beim Gehen große Schritte machen. Dies hängt damit zusammen, dass eine Erkrankung mit Morbus Bechterew oft auch mit einer verkürzten Hüftmuskulatur einhergeht. Ebendiese Muskulatur wird bei großen Schritten gestreckt, was sie auf Dauer wieder verlängert.
Sport
Zu den Sportarten, die sich bei Morbus Bechterew empfehlen, zählen Schwimmen, Skilanglauf sowie Volleyball. Auch Fahrradfahren eignet sich gut, allerdings sollten Sie in keinem Fall Rennradfahren, da Sie sonst wieder in eine vornüber gebeugte Haltung gelangen würden. Die hier genannten Sportarten eignen sich besonders gut für Patienten mit Morbus Bechterew, da man sich bei ihnen strecken muss, vor allem beim Volleyball. Im Volleyball haben sich mitunter bereits ganze Morbus-Bechterew-Mannschaften gebildet, da es dort häufig zu einem geraden Strecken kommt, was sehr gut für die Wirbelsäule ist.
Grenzen erkennen und akzeptieren
Sowohl im Beruf als auch im privaten Bereich bieten sich Ihnen also viele Möglichkeiten, eigeninitiativ mit der Erkrankung umzugehen. Berücksichtigen Sie daher diese Tipps, akzeptieren und erkennen Sie aber auch die Grenzen, die Ihnen die Erkrankung setzt.
Häufige Patientenfragen
Was ist rheumatoide Arthritis?
Dr. T. Weigl
Bei der rheumatoiden Arthritis handelt es sich auch um eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die in der Regel in Schüben verläuft. Charakteristisch für diese Erkrankung sind anfangs Fehlstellungen und Probleme mit den kleinen Gelenken an Fingern und/oder Füßen. Auch hier sind die Ursachen bis heute größtenteils ungeklärt.
Verkürzt sich durch Morbus Bechterew die Lebenserwartung?
Dr. T. Weigl
In der Regel nicht. Nur in den seltenen Fällen, in denen der Morbus Bechterew auch innere Organe befällt, ergibt sich eine verkürzte Lebenserwartung. Weitere Nebenwirkungen können sich aufgrund der eingenommenen Medikamente ergeben.
Welche physikalischen Therapiemaßnahmen können bei der Behandlung zum Einsatz kommen?
Dr. T. Weigl
Neben der Elektrotherapie können rheumatische Erkrankungen in vielen Formen mit Wärme behandelt werden. Diese lindert die Schmerzen und fördert die Durchblutung, wodurch auch die Steifigkeit etwas nachlassen kann. Daheim können Sie auf ein warmes Bad, eine Heizdecke, eine Wärmflasche o. Ä. zurückgreifen.
Aber auch die Gegenseite, also Kälte, kann hilfreich sein. Sie wird vor allem bei akuten schmerzhaften Schüben eingesetzt, da sie entzündungshemmend wirkt und den Schmerz lindert. Zuhause können Sie Eis- oder Gelpackungen in ein Tuch einwickeln und auf die schmerzenden Gelenke legen.
Video: Mehr zur rheumatoiden Arthritis
Möchten Sie mehr über die rheumatoide Arthritis erfahren? Im nachfolgenden Beitrag erörtert Schmerztherapeut Dr. Tobias Weigl den Krankheitsverlauf und erklärt, wie man die rheumatoide Arthritis erkennt und wie man ihr am besten begegnet.
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Autoren: Tobias Möller und Dr. Tobias Weigl
Lektorat: Christine Pepersack
Veröffentlicht: 30.07.2018
Quellen
- Niethard, F., Pfeil, J., Biberthaler, P. (2009). Orthopädie und Unfallchirurgie. (6. Auflage). Stuttgart: Georg Thieme Verlag.
- Elsen, A., Eppinger, M., Müller, M. (2014/15). Orthopädie und Unfallchirurgie. Für Studium und Praxis (1. Auflage). Breisach: Medizinische Verlags- und Informationsdienste.
- Berufsverband Deutscher Internisten e. V.: Rheumafaktor. https://www.internisten-im-netz.de/mediathek/blutbild-erklaerung/rheumafaktor.html
- Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e. V.: Die Erkrankung Morbus Bechterew.
https://www.bechterew.de/inhalt/morbus-bechterew/ - Jan Loock (2015): Morbus Bechterew (M. bechterew, Spondylitis ankylosans). https://www.apotheken-umschau.de/morbus-bechterew
Ninifee
06.04.2021 08:34Hallo,
was kann ein/e Artzt/Ärztin tun, wenn selbst verschiedene Biologika in Kombination mit Etereoxib (Schmertablette 90 mg) nicht genügend Schmerzreduktion bringen?
(Ernährungsumstellung bereits erfolgt und Bewegung/Sport wird gemacht)
Bitte-danke!