Während einer Narkose kann es zu zahlreichen Zwischenfällen kommen. Stehen diese in direkter Verbindung mit der Anästhesie, spricht man von sogenannten Narkosezwischenfällen bzw. -komplikationen. — Dr. Tobias Weigl
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Quellen ansehenSogenannte Narkosezwischenfälle gelten als die wichtigste Ursache für ein mit der Anästhesie in Verbindung stehendes Versterben eines Patienten. Bei ebendiesen Zwischenfällen handelt es sich um Komplikationen während oder nach einer Narkose, die in direktem Zusammenhang mit der Anästhesie stehen, also bspw. den eingesetzten Medikamenten (sog. ‚Anästhetika‘) oder anästhesiologischen Techniken. Zu Todesfällen in Zusammenhang mit der Narkose kommt es in Deutschland in 0,4 von 100.000 Fällen. Von den Narkosezwischenfällen abzugrenzen sind überdies sogenannte kritische Narkoseereignisse, zu denen es infolge menschlichen Irrtums oder Versagens der notwendigen Ausrüstung kommt. Derlei Ereignisse tragen sich in 1 von 83 Fällen zu, bleiben aber meist folgenlos, da sie noch während der Narkose behoben werden können. Zu Narkosezwischenfällen kommt es laut Definition unabhängig von Alter und Zustand des Patienten oder den spezifischen Operationsrisiken. Allerdings existieren diverse begünstigende Faktoren.
Wann spricht man im Rahmen einer Narkose von Komplikationen?
Unter dem Begriff Narkosekomplikationen sind die zwei Aspekte Narkosezwischenfälle und
kritische Narkoseereignisse zusammengefasst. Im Folgenden wird auf Komplikationen bei einer Allgemeinanästhesie und bei einer Regionalanästhesie eingegangen, da sich abhängig vom Anästhesieverfahren kleine Unterschiede ergeben.
Komplikationen bei einer Allgemeinanästhesie (Vollnarkose)
Als Narkosezwischenfälle bezeichnet man diejenigen Komplikationen, die sich während oder nach einer Narkose ergeben, im direkten Zusammenhang mit den für die Narkose verabreichten Medikamenten (sog. ‚Anästhetika‘) oder anästhesiologischen Techniken stehen und den Tod des Patienten oder bleibende Schäden am Gehirn zur Folge haben. Ebenso gilt ein solcher Zwischenfall als unerwartetes Ereignis während einer Narkose, aufgrund wessen durch den Anästhesisten akut eingegriffen werden muss. In der Folge kann es zu einer erhöhten Mortalität oder Morbidität in Bezug auf den Patienten kommen.
Diese Definition schließt keine leichten Anästhesiekomplikationen ein. Des Weiteren gelten mit Erkrankungen des Patienten zusammenhängende Komplikationen oder allergische Reaktionen, auf die man sich nicht einstellen konnte, da sie bspw. im Aufklärungsgespräch nicht zur Sprache kamen, nicht als Narkosezwischenfälle.
Die anästhesiologische Mortalität beschreibt den Tod eines Patienten während oder infolge der Narkose.
Unter Morbidität versteht man im Zusammenhang mit einer Narkose eine nicht geplante sowie unerwünschte Wirkung der Narkose. Dahingehend bestehen drei Unterkategorien:
- Geringfügige Morbidität: Hierbei handelt es sich um die leichte Verlaufsform mit lediglich geringer Beeinträchtigung des Wohlbefindens. Überdies bleiben Folgeschäden aus und der stationäre Aufenthalt wird nicht verlängert. Dies trifft zum Beispiel auf Herbert aus unserem Beispiel zu, der infolge einer Intubation während der Narkose Halsschmerzen verspürt.
- Mittelgradige Morbidität: Dies beschreibt eine Intermediärform, bei der das Allgemeinbefinden beeinträchtigt ist und der Krankenhausaufenthalt verlängert wird. Auch hier bleiben Folgeschäden aus. Wurde bspw. eine rückenmarksnahe Anästhesie durchgeführt, können sich sog. post-spinale Kopfschmerzen ergeben, die eine Verlängerung des stationären Aufenthalts bedingen.
- Hochgradige Morbidität: Hierbei handelt es sich um die schwere Verlaufsform, welche beim Patienten permanente Folgeschäden verursacht, bspw. ein Hirnschaden nach Reanimation.
Eine gesteigerte Anästhesiemorbidität ergibt sich für Patienten im Kindesalter oder im Alter von über 65 Jahren. Außerdem gehen Notfalleingriffe stets mit einer gesteigerten Morbidität einher.
Ein Narkosezwischenfall äußert sich in Form eines Herzstillstands oder führt zu schweren Schäden am Gehirn des Patienten (sog. ‚zerebrale Funktionsstörung‘). Eine Hirnschädigung ist meist die Folge einer nicht sachgemäß durchgeführten oder zu spät eingeleiteten Reanimation und muss nicht in Kombination mit einem Herzstillstand auftreten.
Was sind die häufigsten Zwischenfälle?
Im Folgenden werden die häufigsten Zwischenfälle bei Narkosen gelistet. Dabei wird unterschieden zwischen Ereignissen, die auf technisches oder menschliches Versagen zurückzuführen sind.
Komplikationen durch technisches Versagen
- Fehlfunktionen des Monitorings, also bspw. der Messapparate und -katheter
- Fehlfunktionen der Beatmungssysteme, bspw. der Kreissysteme oder Narkosemittelverdampfer (sog. ‚Vaporen‘)
Im Verlauf der Zeit haben sich allerdings viele Verbesserungen ergeben, die ein technisches Versagen weiter minimieren. So wurden etwa diverse Wandanschlüsse genormt, ein Sauerstoff-Ausfallalarm integriert oder Geräte-Checks implementiert, mithilfe welcher wichtige Geräte direkt nach dem Einschalten auf ihre Funktionalität geprüft werden.
Komplikationen durch menschliches Versagen
- Komplikationen in Zusammenhang mit den Atemwegen (sog. ‚respiratorischer Zwischenfall‘): Dies kann bspw. eine unterlassene Beatmung oder Diskonnektion betreffen. Letztere beschreibt das Trennen der Gasverbindung zum Patienten, infolge wessen dieser innerhalb kürzester Zeit durch Hypoxie verstirbt. Unter Hypoxie versteht man die unzureichende Versorgung des Körpers oder eines Teils des Körpers mit Sauerstoff. Überdies gelten auch fehlerhafte Intubationen in die Speiseröhre (sog. ‚Ösophagus‘) als kritische respiratorische Zwischenfälle. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass Magensaft in die Atemwege übertritt (sog. ‚Pulmonale Aspiration‘). Dies gilt mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 1:1.000 als eine der häufigsten anästhesiebedingten Komplikationen in der Geburtshilfe.
- Falsche Applikation von Medikamenten: Werden Medikamente falsch beschriftet, kommt es zu Verwechslungen.
- Unangepasste Verabreichung von Medikamenten: Hierbei handelt es sich etwa um Fehldosierungen durch mangelndes Wissen oder um unzureichende Kennzeichnung. Dies könnte Wachheit während der Operation (sog. ‚Awareness‘ oder ‚intraoperative Wachheit‘) zur Folge haben. Das Awareness-Risiko liegt zwischen 0,1 und 0,15 Prozent und kann chronische psychische Störungen verursachen. Das Risiko, an ebensolchen neuropsychologischen Störungen zu erkranken, liegt zwischen 10 und 33 Prozent.
Wieso kommt es überhaupt zu solchen Zwischenfällen?
Laut Definition ereignen sich Narkosezwischenfälle unabhängig von Alter und Geschlecht des Patienten und stehen auch nicht im Zusammenhang mit den jeweiligen Risiken der Operation. Vielmehr sind die Ursachen in Fehlern des zuständigen Anästhesisten oder Funktionsstörungen des Anästhesiezubehörs zu finden, welche weder rechtzeitig erkannt noch rechtzeitig behoben werden. Etwa 10 Prozent der Zwischenfälle liegt eine technische Ursache zugrunde. 60–82 Prozent der Zwischenfälle sind indes auf menschliches Versagen zurückzuführen. Dahingehend existieren einige Faktoren, die Zwischenfälle begünstigen können:
- Unzureichende oder außer Acht gelassene Überprüfung des für die Narkose relevanten Zubehörs
- Unzureichende Erfahrung des Anästhesisten
- Notfalleingriff
- Oberarzt/Assistent nicht in Rufweite
- Anästhesist befindet sich zum ersten Mal in der Situation
- Fehlende Einweisung in die Geräte
- Unaufmerksamkeit des Anästhesisten
- Eile und Hektik
- Übermüdung
- Eingeschränkter Sehbereich
Wie oft kommt es zu solchen Zwischenfällen?
Durch den hohen medizinischen Standard in deutschen Einrichtungen kommt es bei 100.000 Patienten zu 0,4 Todesfällen, die in direktem Zusammenhang mit der Narkose stehen. Es kommt also selten zu schwerwiegenden Narkosezwischenfällen. Zurückzuführen sind bis zu 87 Prozent ebendieser Todesfälle auf als „primär vermeidbare“ menschliche Irrtümer oder Fehler bezeichnete Umstände.
Komplikationen bei einer rückenmarknahen Regionalanästhesie
Als schwerwiegendste Komplikation der rückenmarknahen Regionalanästhesie gilt die sogenannte persistierende Querschnittsymptomatik, besser bekannt als Querschnittlähmung. Das Risiko von Nervenschäden bei ebensolchen Regionalanästhesien beläuft sich heute Schätzungen zufolge auf 0,42 pro 1.000 Spinalanästhesien und 0,77 pro 1.000 Periduralanästhesien.
Risikofaktoren, die bleibende Neuropathien infolge einer Regionalanästhesie begünstigen, sind:
- Einnahme von Blutverdünnern (sog. ‚Antikoagulanzien‘)
- Blutgerinnungsstörung (sog. Koagulopathie‘)
- Weibliches Geschlecht
- Über 50 Jahre alt
- Niereninsuffizienz
- Orthopädischer Eingriff
- Mehrfachpunktionen
Findet die Regionalanästhesie nicht rückenmarknah, sondern peripher statt, ergeben sich eher selten neurologische Schäden.
Exkurs: Neuropathische Schmerzen
Bei neuropathischen Schmerzen handelt es sich um Nervenschmerzen, die sich aus einer Beschädigung des vegetativen oder peripheren Nervensystems ergeben. Patienten nehmen derlei Schmerzen häufig als Kribbeln, Bohren, Stechen oder Brennen wahr. Zurückzuführen sind Neuropathien auf Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus (sog. ‚Diabetische Polyneuropathie‘) oder auf übermäßigen Alkoholkonsum. Allerdings können sie selten auch Ergebnis eines operativen Eingriffs sein.
Video: Nervenschmerzen erklärt
In diesem Beitrag geht Schmerztherapeut Dr. Tobias Weigl auf Nervenschmerzen ein und erklärt, wie diese am besten zu therapieren sind. Warum klassische Schmerzmedikamente oftmals keine Abhilfe schaffen und wie die Alternative aussieht, erfahren sie im folgenden Video.
Des Weiteren schwerwiegend sind infektiöse Komplikationen. Diese ergeben sich bei rückenmarknahen Verfahren (2,7 Prozent) ungefähr doppelt so häufig wie bei peripheren Verfahren (1,3 Prozent). Ebenso kommt es bei Mehrfachpunktionen (4,1 Prozent) häufiger zu Infektionen als bei Einfachpunktionen (1,6 Prozent). Überdies steigt das Infektionsrisiko mit zunehmendem Body-Mass-Index (BMI) und einer längeren Liegedauer eines Katheters. Allerdings hängt das Risiko einer Infektion auch mit dem Zustand des Patienten zusammen.
Häufige Patientenfragen
Wie häufig kommt es zu Aspiration?
Dr. T. Weigl
Bei Vollnarkosen liegt das Risiko, dass Magensaft in die Atemwege übertritt, bei etwa 1:3.000, wobei Schwangere deutlich mehr gefährdet sind (1:1.000). Allerdings ist die Tendenz auch bei dieser Risikogruppe fallend und auch die Sterblichkeit der damit zusammenhängenden Folgeerkrankungen wie Lungenentzündungen ist vergleichsweise gering.
Was passiert bei Awareness, also dem Aufwachen während einer Operation?
Dr. T. Weigl
Bei Awareness wacht man während einer Operation auf und kann, sollten die Medikamente, welche die Erinnerung ausschalten sollen, falsch dosiert sein, von der Momentaufnahme so stark mitgenommen sein, dass sich chronische psychische Störungen ergeben können. Das Risiko, während einer Operation aufzuwachen, beträgt allerdings lediglich 0,1–0,15 Prozent. Bei kardiochirurgischen Eingriffen und in der Geburtshilfe erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf 0,26 Prozent. Awareness-Patienten erkranken in 10–33 Prozent der Fälle an anhaltenden neuropsychologischen Störungen. Als besonders belastend werden dabei
Wachphänomene in Kombination mit einem intensiven Schmerzerleben empfunden.
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Die hier beschriebenen Punkte (Krankheit, Beschwerden, Diagnostik, Therapie, Komplikationen etc.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird genannt, was der Autor als wichtig und erwähnenswert erachtet. Ein Arztbesuch wird durch die hier genannten Informationen keinesfalls ersetzt.
Autoren: Dr. Tobias Weigl, Tobias Möller
Lektorat: Claudia Scheur
Veröffentlicht: 16.07.2018
Quellen
- André Gottschalk et al (2011): Ist Anästhesie gefährlich?, in: Dtsch Arztebl Int 2011; 108(27): 469–74; DOI: 10.3238/arztebl.2011.0469.
- Reinhard Larsen (2018) (Hrsg): Anästhesie, 11. Auflage. Urban&Fischer, München.
- Werner F. List, Peter M. Osswald (2013): Komplikationen in der Anästhesie. Springer-Verlag, Heidelberg.
- Jürgen Schüttler (2003) (Hrsg): Der Narkosezwischenfall. Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
- viamedici.thieme.de (2018): Narkosekomplikationen.
- Wolfram Wilhelm (2018) (Hrsg): Praxis der Anästhesiologie: konkret – kompakt – leitlinienorientiert. Springer-Verlag, Heidelberg.
Rita
21.01.2019 11:43Hallo,ich bin bei einem Ambulanten Eingriff nach der Vollnarkose wie durch ein Schreck wach geworden. Mein ganzer Körper war am Zittern und mir war sehr übel.Wegen Herzrasen wurde ich auf die Kardiologie verlegt die Untersuchungen waren alle unauffällig aber das Zittern ist auch jetzt nach 5 Monaten noch nicht verschwunden auch immer wieder Schwäche und das gefühl von Herzstolpern plagen mich.Allgemein habe ich das Gefühl das mein gesammtes Nervenkostüm nicht mehr dasselbe ist.
LG Rita
Tom Vogt
03.04.2019 12:45So eine Narkose ist schon nicht ohne. Ich war zum Glück noch nie in einer Vollnarkose. Da es bei mir einfach nicht gab was man hätte operieren sollen. Die Risiken von denen man immer wieder hört sind ja auch nicht unbedingt ohne.
Steffi
22.06.2021 11:255 min nach einer Spinale (zwecks Kaiserschnitt) hatte ich (30 Jahre) einen Herzstillstand (Asystolie). Leider wurde mir das tagelang nicht mitgeteilt. Erst als ich nachfrage, warum ich vor der OP ohnmächtig wurde und was ich in Zukunft besser machen kann, wurde mir im Nebensatz mitgeteilt, was passiert ist. Ich habe nicht mal einen Brief für mich nach Hause bekommen. Geschweigedenn Tipps, was ich kontrollieren lassen sollte. Habe ich neurologische Folgen? Ich fühle mich sehr alleine gelassen.