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Piriformis-Syndrom: Gibt es das überhaupt?

Auf einen Blick – Piriformis-Syndrom

Was ist das Piriformis-Syndrom?

  • Der Piriformis-Muskel drückt auf den Ischiasnerv
  • Infolgedessen kommt zu Beschwerden
  • Ob es das Syndrom wirklich gibt, ist noch umstritten

Welche Symptome gibt es?

  • Schmerzen im Hüft- und Gesäßbereich, teils bis in die Wade ziehend
  • Kribbeln
  • Ggf. Taubheitsgefühle

Wie wird das Syndrom behandelt?

  • Das Piriformis-Syndrom ist bisher eine Ausschlussdiagnose
  • Da es keine klare Diagnose gibt, ist nicht geklärt, was genau behandelt werden muss
  • Eine spezifische Therapie gibt es deswegen nicht

Rückenschmerzen, die ins Bein ausstrahlen, beeinträchtigen unsere Lebensqualität massiv. Teilweise liegt die Ursache aber nicht bei den Bandscheiben, sondern möglicherweise bei verspannten Muskeln. Häufig wird dann die Diagnose „Piriformis-Syndrom“ gestellt. Der Piriformis-Muskel ist wahrscheinlich ein Muskel, den nicht allzu viele Menschen kennen und am Körper verorten können. Ist er verspannt und verhärtet, kann er u. U. den Ischiasnerv reizen, was zu Gesäßschmerzen führt, die bis ins Bein und seltener sogar bis zu den Füßen ausstrahlen können. In der Wissenschaft ist das Syndrom umstritten – gibt es das Piriformis-Syndrom überhaupt und wie wird es behandelt?

Dieser Artikel ist zuerst in der Laufzeit Ausgabe 2/22 erschienen.

Rücken Rückenschmerzen

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Was ist der Piriformis?

Der ‚Musculus piriformis‘, also der birnenförmige Muskel, ist ein Muskel der Hüftmuskulatur. Er erstreckt sich vom Kreuzbein (Os sacrum), also dem unteren Ende der Wirbelsäule, durch das Becken bis zur Außenseite des Oberschenkelknochens (Femur). Der Muskel stabilisiert zum einen das Hüftgelenk und ist dafür verantwortlich, dass wir das (gestreckte) Bein in der Hüfte nach außen drehen und bei gebeugter Hüfte abspreizen können.

Was ist das Piriformis-Syndrom?

Was bedeutet es aber für Sie, wenn Sie die Diagnose ‚Piriformis-Syndrom‘ bekommen? Bei diesem Syndrom wird angenommen, dass der Piriformis-Muskel Druck auf den Ischiasnerv ausübt und es infolgedessen zu Schmerzen kommt. Letztlich handelt es sich um ein Engpass-Syndrom im Bereich des Foramen infrapiriforme (das ist eine Durchtrittsstelle wichtiger Leitungsbahnen durch die Beckenregion), wo der Ischiasnerv den Piriformis-Muskel durchtritt oder seitlich passiert. Je nach Definition soll das Syndrom für 0,3–6 % aller Kreuz- und Ischiasbeschwerden verantwortlich sein. Tendenziell tritt das Piriformis-Syndrom eher bei Patient*innen mittleren Alters auf, wobei mehr Frauen betroffen sind.

Was sind die Symptome des Piriformis-Syndroms?

Die Beschwerden des Syndroms können sich als chronischer Schmerz, als Kribbeln oder als Taubheitsgefühl im Gesäß äußern. Sie können sich über die gesamte Rückseite des Oberschenkels und der Wade und sogar bis zu den Füßen erstrecken. Teilweise wirken die Symptome bizarr und scheinen auf den ersten Blick nicht zusammenzuhängen. Die Beschwerden verstärken sich, wenn der Piriformis gegen den Ischiasnerv gedrückt wird. Das kann z. B. beim Laufen, beim Sitzen auf der Toilette oder beim Aufstehen aus dem Bett der Fall sein. Möglich sind auch Schwellungen im Bein oder sogar sexuelle Funktionsstörungen.

Was können die Ursachen des Piriformis-Syndroms sein?

Es gibt mehrere Ursachen, die das Piriformis-Syndrom (möglicherweise) verursachen könnten, z. B.:

  • Brüche im Bereich der Hüfte oder des Gesäßes
  • Vergrößerter Piriformis-Muskel (Hypertrophie), etwa bei Sportler*innen infolge intensiver Muskelbeanspruchungen
  • Sehr langes Sitzen, z. B. als Taxifahrer*in oder Büroarbeiter*in, teilweise sind auch Fahrradfahrer*innen betroffen

Auch anatomische Auffälligkeiten wie ein zweiteiliger Piriformis-Muskel oder Verzweigungen des Ischiasnervs in Richtung des Muskels können u. U. zur Entstehung des Syndroms beitragen.

Uneinigkeit in der Wissenschaft: Gibt es das Piriformis-Syndrom überhaupt?

Allerdings ist es bisher noch nicht eindeutig geklärt, ob es das Piriformis-Syndrom überhaupt gibt. Entscheidend ist die Frage, ob es wahrscheinlich ist, dass der Piriformis- Muskel einen chronischen oder chronisch wiederkehrenden Druck auf den Ischiasnerv ausübt, ohne Nervenfasern zu schädigen? Mit Blick auf die Diagnose gibt es das Problem, dass das Piriformis-Syndrom nicht objektiv gemessen werden kann – es gibt keine messbaren Schädigungen des Nervens wie z. B. beim Karpaltunnelsyndrom.

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Daher stellt sich zwangsläufig die Frage, ob dieses Syndrom wirklich ursächlich für die Beschwerden sein kann. Hinzukommt, dass das Syndrom selten ausschließlich die Folge des Piriformis-Muskels, sondern umliegende Muskeln ebenfalls beteiligt sind.

Zudem gibt es keinen „Piriformis-Test“ bzw. keine Methode, die einwandfrei die Diagnose „Piriformis-Syndrom“ sicherstellt. Folgende objektive Kriterien, die ein Engpass-Syndrom, also eine Verengung, die zu den entsprechenden Beschwerden führt, nachweisen, gibt es:

  • Es sind Symptomen und Zeichen einer Schädigung des Ischiasnervs vorhanden.
  • Elektrophysiologischer Nachweis einer Schädigung des Ischiasnervs und ein normales EMG (Elektromyografie) der Rückenmuskeln (zum Ausschluss eines Bandscheibenvorfalls).
  • Im Zuge bildgebender Verfahren werden keine krankhaften Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und des Beckens beobachtet, die auf den Ischiasnerv drücken.
  • Eine Operation bestätigt eine Kompression des Ischiasnervs durch den M. piriformis; andere Anzeichen für Ursachen einer Ischiasnervschädigungen werden nicht beobachtet.

Die vorhandenen Symptome sollten sich nach einer operativen Dekompression des Ischiasnervs verbessern. Diese Kriterien lassen sich beim Piriformis-Syndrom allerdings i. d. R. nicht nachweisen. Typisch für Nervenkompressionen wären z. B. Gefühls- und/oder Bewegungsbeeinträchtigungen sowie messbare Nervenstörungen. Beim Piriformis-Syndrom sind keine der genannten Eigenschaften vorhanden. Deshalb ist es eher anzuzweifeln, dass bei einem Piriformis-Syndrom eine Nervenkompression des Ischiasnervs vorliegt.

Letztlich ist das Piriformis-Syndrom eine Ausschlussdiagnose, um andere mögliche Ursachen einer Ischialgie auszuschließen. Der Begriff „nichtlokalisierbare Ischialgie” ist treffender und impliziert auch nicht eine unbewiesene Ursache in der Entstehung der Symptome.

Wollen Sie noch mehr über das Piriformis-Syndrom erfahren? Im folgenden Video geht Dr. Dr. Tobias Weigl auf die Argumente für und wider das Piriformis-Syndrom ein und erklärt, was man gegen Ischiasschmerzen tun kann.

Piriformis Lüge? Piriformis Syndrom wird stark angezweifelt⚡Ursache für Ischiasschmerz & Ischialgie?

Was spricht für die Diagnose Piriformis-Syndrom?

Die Befürworter*innen des Piriformis-Syndroms verweisen allerdings auf folgende Punkte, die die Diagnose rechtfertigen könnten:

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  • Schmerzen werden provoziert, indem Druck über den Piriformis-Muskel auf den Ischiasnerv ausgeübt wird.
  • Schmerzprovokation durch Abtasten des Piriformis-Muskels.
  • Die lokale Gabe von Schmerzmittelinjektionen oder Kortisoninjektionen in den Muskel lindern die Schmerzen
  • „Abnormale“ Bilder des Muskels können auf einem MRT oder CT identifiziert werden.

Jedoch belegt keines dieser klinischen Zeichen den Nachweis für ein Piriformis Syndrom. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass ein Piriformis-Syndrom existiert und anschließend werden durch diese Zeichen das Piriformis Syndrom im Nachhinein bestätigt. Das ist allerdings kein Beweis für die Existenz eines Piriformis Syndrom.

Bspw. können Schmerzen beim Abtasten des Muskels auch durch Tumoren oder Vernarbungen im Gesäßbereich verursacht werden. Eine Empfindlichkeit in diesem Bereich ist keine zuverlässige diagnostische Methode. Die Interpretation vermeintlich abnormaler Bilder des Piriformis ist schwierig, da die Befunde zufällig sein könnten oder möglicherweise auch bei Gesunden vorkommen. Hier fehlen schlichtweg Studien, die eine solche Vorgehensweise untermauern.

Objektive Kriterien, die das Piriformis-Syndrom zweifelsfrei nachweisen können, gibt es bisher nicht.
— Dr. Dr. Tobias Weigl

Wie wird das Piriformis-Syndrom behandelt? Was kann ich bei Schmerzen tun?

Neben der Uneinigkeit, ob es das Syndrom gibt oder nicht, existiert darüber hinaus kein universeller Therapieansatz. Oft wird das Dehnen als Behandlungsansatz empfohlen, es gibt allerdings nur wenige Studien zur Wirksamkeit verschiedener Behandlungsmethoden. Daher ist es unklar, inwiefern die verschiedenen therapeutischen Ansätze zu positiven Behandlungsergebnissen führen können, es fehlt noch an mehr Forschung.

Unabhängig davon, ob ein Piriformis-Syndrom existiert oder nicht, gibt es einige Maßnahmen, die Sie bei Beschwerden in dieser Körperregion ergreifen können und die sich als wirksam erwiesen haben:

  • Die Entlastung der betroffenen Stelle ist die wichtigste Maßnahme
  • Intensität des Krafttrainings reduzieren
  • Dehnübungen, wobei die genaueren Ursachen der Schmerzen so gut wie möglich abgeklärt werden sollten, da pauschales Dehnen nicht immer zielführend ist
  • Bei akuten Schmerzen helfen Schmerzmittel (NSAR)
  • Injektionen mit Botox/Cortison, wobei die Mittel nicht zu oft eingesetzt werden sollten
  • Als letzter Ausweg können Sie eine Operation in Erwägung ziehen

Aktuelle Forschung – Hilft das Dehnen und Stretchen des Piriformis-Muskels?

Forscher*innen haben untersucht, wie sich ELDOA (eine Art Fasziendehnung) und das Post-Facilitation-Stretching auf die Schmerzen, die Muskellänge und die funktionelle Leistung des Piriformis-Muskels bei Patient*innen mit dem Piriformis-Syndrom auswirken.

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Für diese randomisiert-klinische Studie wurden 40 Menschen mit dem Syndrom herangezogen, die zwischen 30–70 Jahre alt waren. Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt und entweder der ELDOA- oder der Post-Faciliation-Gruppe zugewiesen. Vorausgegangen ist dieser Aufteilung eine Bewertung, mit der anhand verschiedener Skalen die individuelle Schmerzintensität oder die Funktionalität des Muskels bewertet wurde. Die Bewertungen wurden am Anfang und am Ende der sechswöchigen Studie durchgeführt.

Im Ergebnis hat die ELDOA-Behandlung eine signifikante Verbesserung der Schmerzen, der Piriformis-Länge und anderer Parameter herbeigeführt. Im Vergleich zur Post-Faciliation-Gruppe schnitten die ELDOA-Gruppe teils erheblich besser ab, sodass die Autor*innen ELDOA als eine sinnvolle therapeutische Maßnahme beim Piriformis-Syndrom bewerten.

Quelle: Momena Shahzad u. a. (2020): Effects of ELDOA and post-facilitation stretching technique on pain and functional performance in patients with piriformis syndrome: A randomized controlled trial. In: Journal of Back and Musculoskelet Rehabilitation 33/6, S. 938–988.

Häufige Patientenfragen

Woran erkenne ich Ischiasschmerzen?

Dr. Dr. T. Weigl
Das wichtigste Symptom ist Schmerz. Dabei handelt es sich um blitzartig einstechende Schmerzen im unteren Rücken, die sogar bis in die Kniekehle oder den Fuß ausstrahlen können. Typischerweise nehmen Betroffene eine Schonhaltung ein: Patient*innen versuchen bzgl. der Stelle, an welcher der Nerv einem Druck ausgesetzt ist, eine Schonhaltung einzunehmen und neigen sich bspw. zur Seite. Außerdem kann es zu Taubheitsgefühlen, Kribbeln oder sogar Lähmungserscheinungen kommen.

Worin unterscheidet sich das Piriformis-Syndrom vom Bandscheibenvorfall?

Dr. Dr. T. Weigl
Gesetzt dem Fall, dass es das Piriformis-Syndrom überhaupt gibt, können Schmerzen, die von der Gesäßmuskulatur bis in die Beine ziehen, sowohl auf das Syndrom als auch auf einen Bandscheibenvorfall hindeuten. Möglicherweise könnten einige Bandscheiben-Operationen vermieden werden, wenn stattdessen das Piriformis-Syndrom diagnostiziert und behandelt würde. Allerdings fehlt es hierfür an noch mehr Evidenz, um genauere Aussagen treffen zu können.

Was kann ich gegen akute Ischiasschmerzen tun?

Dr. Dr. T. Weigl
Akute Ischiasschmerzen werden meisten symptomatisch behandelt, also die Schmerzen therapiert. Wichtig ist es, sich zu schonen. Außerdem hilft vor allem eine Behandlung mit Kälte, da diese akute Entzündungserscheinungen reduziert. Des Weiteren eignen sich einige Medikamente, vor allem entzündungshemmende Wirkstoffe wie Ibuprofen oder Diclofenac, zur Behandlung. Oft spielen auch Injektionen und Spritzen eine Rolle, da sie aus einem Gemisch aus Anästhetikum und Kortison bestehen, wodurch also gleichzeitig Schmerzen gelindert und Entzündungen reduziert werden. Überdies kann eine Elektrostimulation erfolgen, um den Schmerz zu überlagen.

Was kann eine Ischialgie auslösen?

Dr. Dr. T. Weigl
Meist sind Bandscheiben-Probleme ursächlich für Reizungen des Ischiasnerven. Andere Faktoren sind aber z. B.:

  • Infektionen der Wirbelsäule
  • Knöcherne Quetschungen des Nervs
  • Gefäß-Quetschungen des Ischiasnervs
  • Tumore

Verwandte Themen

Haben Sie schonmal die Diagnose „Piriformis-Syndrom“ bekommen? Möchten Sie sich bei uns weiter über dieses Syndrom informieren? Nutzen Sie unsere Kommentarfunktion unten, um von Ihren Erfahrungen zu berichten und sich untereinander auszutauschen!

Die hier beschriebenen Punkte (Krankheit, Beschwerden, Diagnostik, Therapie, Komplikationen etc.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird genannt, was der Autor als wichtig und erwähnenswert erachtet. Ein Arztbesuch wird durch die hier genannten Informationen keinesfalls ersetzt.

Autor: Dr. Dr. Tobias Weigl, Sebastian Mittelberg
Veröffentlicht am: 17.01.2022

Quellen

  • Evidenzbasierte Physiotherapie (Hg.): Ist das Piriformis Syndrom ursächlich für eine Ischiasnervreizung? In: evidenzbasiertephysiotherapie.de.
  • Mazda Farshad (Hg.) (2021): Lehrbuch Orthopädie: was man wissen muss. Berlin, Springer-Verlag.
  • Kevork Hopayian & Armine Danielyan (2018): Four symptoms define the piriformis syndrome: an updated systematic review of its clinical features. In: European Journal of Orthopaedic Surgery & Traumatology 28/2, S. 155–164.
  • Kevork Hopayian u. a. (2010): The clinical features of the piriformis syndrome: a systematic review. In: European Spine Journal 19/12, S. 2095–2109.
  • Peter Matzen u. a. (Hg.) (2017): Neuroorthopädie. Berlin, De Gruyter.
  • Momena Shahzad u. a. (2020): Effects of ELDOA and post-facilitation stretching technique on pain and functional performance in patients with piriformis syndrome: A randomized controlled trial. In: Journal of Back and Musculoskelet Rehabilitation 33/6, S. 938–988.
  • Neeraj Vij u. a. (2021): Surgical and Non-surgical Treatment Options for Piriformis Syndrome: A Literature Review. In: Anesthesiology and Pain Medicine 11/1.
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