Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) ehrte die dänische Wissenschaftlerin Dr. Hanne Albert für ihre „bahnbrechende“ Forschung mit dem Deutschen Schmerzpreis 2017. Sie hat nämlich in zahlreichen Studien herausgefunden, dass Schmerzen im Rücken von Bakterien herrühren können. Damit kommen als Heilmittel Antibiotika gegen Rückenschmerzen in Frage. Was genau hinter dieser Forschung steckt, wann und wie die Antibiotika helfen und was das für die Therapie bedeutet, erklären wir in diesem Artikel.
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Quellen ansehenWas genau hat die Wissenschaft herausgefunden?
Bakterien in den Bandscheiben – Grundvoraussetzungen für die Antibiotika-Therapie
Dr. Hanne Albert von der Süddänischen Universität in Odense bescherte der Medizin eine Reihe von Erkenntnissen, auf denen die Forschung schrittweise aufbauen konnte. Nachdem Albert eine Ursache für chronische Rückenschmerzen erkannt hatte, konnte sie erfolgreich an der Therapie forschen.
- Bei MRT-Untersuchungen von chronisch schmerzenden Rücken lassen sich in etwa jedem zweiten Fall Ödeme im Knochenmark finden, sog. ‚modic changes‘ (Modic’sche Veränderungen).
- In Gewebeproben von Patienten mit Bandscheibenvorfall fanden sich ebenfalls in der Hälfte der Fälle Bakterien – der Zusammenhang lag nahe.
- Meistens handelt es sich dabei um das Propionibacteriumacnes (kurz P. acnes). Dieses Bakterium ist ein ganz natürlicher Teil der Mundflora. Durch kleine Verletzungen im Mund, die etwa durch Zähneputzen entstehen, gelangen diese Bakterien ins Blut.
- Entstehen neue Kapillaren – feinste Blutgefäße – an den ausgetretenen Bandscheiben, verursacht P. acnes dort Entzündungen, Ödeme und letztlich Schmerzen.
Studie zur Therapie und Ergebnisse
- Patienten, bei denen mit P. acnes infiziertes Gewebe festgestellt worden war, bekamen Antibiotika: über einen Zeitraum von 100 Tagen drei Mal täglich 1.000 mg des Antibiotikums Amoxicillin.
- Schon nach sechs bis acht Wochen zeigten sich erste Effekte: weniger Schmerzen.
- Die Wirkung wurde in mehreren randomisierten Doppelblindstudien bestätigt.
- Der Effekt wirkte bis zu einem Jahr, in einer anderen Studie sogar bis zu zwei Jahren.
Implikationen
- Die Behandlungsmethode mit Antibiotika hilft leider nicht allen Menschen mit chronischen Rückenschmerzen. „Aber diejenigen mit ‚modic changes’, bei denen Bakterien eine Rolle spielen, profitieren enorm“, sagt Dr. Hanne Albert.
Video: Schmerzexperte Dr. Weigl zu Rückenschmerzen und Antibiotika
Wie kommen Bakterien aus dem Mund in die Bandscheiben und was bewirken sie dort? Wie erfahren Sie, ob Sie für diese Therapie in Frage kommen? Noch mehr zur Antibiotikatherapie und den Forschungsergebnissen aus ärztlicher Sicht verrät Dr. Tobias Weigl in folgendem Video.
Empfehlungen
„Diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse können die Therapie chronischer Rückenschmerzen revolutionieren. Dies soll aber kein Statement für Medikamente und Antibiotika sein.“
— Dr. Tobias Weigl
Da die Antibiotika gezielt gegen Bakterien wirken, helfen sie entsprechend nur, wenn die Rückenschmerzen diese bakterielle Ursache haben. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt darüber, Sie auf modic changes hin zu untersuchen.
Beachten Sie, dass 100 Tage eine sehr lange Einnahmedauer für Antibiotika sind. Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen.
Auch handelt es sich hierbei um eine reine Schmerztherapie. Schmerzen und Risiken wie Bandscheibenvorfällen lassen sich mit einem gesunden und starken Rücken vorbeugen. Daher empfehlen wir auch trotz dieser revolutionären Behandlungsmethode regelmäßig viel Bewegung (welche Sportarten sich z. B. anbieten, lesen Sie in diesem Artikel).
Typisches Patientenbeispiel
„Schau mal, Julia!“ Thorsten kommt mit seinem Tablet ins Wohnzimmer zu seiner Freundin Julia. „Hier, nie wieder Krankengymnastik, nie wieder Yoga! Ich lasse mir einfach Antibiotika verschreiben und bin meine Rückenschmerzen los.“ Julia schaut auf den Bildschirm und liest die Schlagzeile: „Antibiotika lindern Rückenschmerzen“. Doch sie bleibt skeptisch. Das muss doch einen Haken haben, denkt sie sich …
„Siehste“, sagt Julia zu Thorsten, nachdem sie einen aufklärenden Artikel gelesen hat, „erst müssen wir herausfinden, ob du für die Antibiotika überhaupt in Frage kommst. Und dann …“ Sie guckt ihren Freund herausfordernd an. „… heißt das noch lange nicht, dass du dich auf die faule Haut legen sollst. Los, zieh deine Laufschuhe an! Wir gehen joggen!“
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Autoren: Marek Firlej, Dr. Dr. Tobias Weigl
Redaktion: Marek Firlej
Veröffentlicht am: 09.09.2019
Quellen
- Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) (2017): Deutscher Schmerzpreis: Antibiotika gegen Schmerzen. In: Schmerzmedizin 33, S. 40.
- Hanne Albert, Phil Sell (2014): A potentially treatable cause of chronic low back pain. In: Journal of Trauma and Orthopaedics 02 (04), S. 44–46.
- Hanne Albert, Joan S. Sorensen, Berit Schiott Christensen, Claus Manniche (2013): Antibiotic treatment in patients with chronic low back pain and vertebral bone edema (Modic type 1 changes): a double-blind randomized clinical controlled trial of efficacy. In: European Spine Journal 22, S. 697–707.
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