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Die Kraft der Illusion: Rolle der Placebos bei Rückenschmerzen

Placebos sind medizinische Präparate ohne Wirkstoff. An dessen Stelle enthalten sie lediglich Milchzucker oder Stärke. Trotzdem schlägt eine Behandlung mit Placebos bei vielen Rückenschmerzpatienten an und ist besonders bei chronischen Schmerzpatienten zur Option geworden.
– Dr. Tobias Weigl


Wie kann es sein, dass Patienten, die mit Placebos behandelt werden, dieselbe therapeutische Wirkung verspüren wie Patienten, die ein „richtiges“ Medikament erhalten haben? Ist die Wirkung von Medikamenten und Arzneimitteln womöglich überbewertet? Eine Frage, die man sich stellen darf, die aber nicht mit wenigen Worten zu beantworten ist. Placebos werden in erster Linie in klinischen Studien verwendet, in denen es um die Entwicklung neuer Medikamente geht, kommen aber auch in der Therapie von chronischen Schmerzen zum Einsatz.

Erstaunlicherweise können Placebos vor allem in der Therapie von lang anhaltenden Beschwerden oder chronischen Schmerzen eingesetzt werden. Obwohl es sich dabei um eine kontrovers betrachtete Behandlungsmethode handelt, können Mediziner mit Placebos bisweilen durchaus Erfolge erzielen. Möglich macht den Erfolg unter anderem die Kraft der Illusion – allein die Vorstellung, ein echtes Medikament einzunehmen, kann im Körper Selbstheilungskräfte aktivieren.

Von Medizinern geprüft und nach besten wissenschaftlichen Standards verfasst

Dieser Text wurde gemäß medizinischer Fachliteratur, aktuellen Leitlinien und Studien erstellt und von einem Mediziner vor Veröffentlichung geprüft.

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Peter windet sich vor Schmerzen. Seit einem Bandscheibenvorfall vor einigen Jahren ist der Rückenschmerz nie wirklich verschwunden, ganz im Gegenteil, es gibt Tage, an denen Peter kaum aus dem Bett kommt und sein kleiner Sohn ihm die Schuhe zubinden muss, weil er bei der kleinsten Bewegung des Rückens starke Schmerzen hat. Auch Reha und regelmäßige Physiotherapie brachten kaum die erhoffte Besserung. Peter hielt die Veranstaltung ja von vornherein für sinnlos. Seine letzte Hoffnung ist ein neues Schmerzmedikament, dass ihm im Rahmen einer klinischen Studie vorgestellt wurde und noch auf Wirksamkeit getestet werden soll. Der Arzt hatte ihm jedoch sehr ausführlich erklärt, welcher Wirkstoff in dem Präparat enthalten sei und wie genau er die Schmerzweiterleitung im Körper unterbrechen würde. Peter war begeistert und hatte sich sofort für die Studie eintragen lassen. Nun ist es endlich soweit. Er sitzt im Behandlungszimmer und erhält einen Schmerzmittelvorrat für die nächsten Wochen. Dabei wisse niemand, ob der Patient das Schmerzmittel oder ein Scheinmedikament erhalte, hatte man ihm im Vorfeld erklärt. Peter ist sich jedoch fast sicher, in der Medikamentengruppe gelandet zu sein. Hoffnungsvoll nimmt er das Präparat im Beisein des Arztes ein.

Was sind Placebos?

Gegen beinahe jede Erkrankung und jede Form von Schmerz hat die konventionelle Medizin ein Medikament zur Hand. In Form von Tabletten, Pulvern oder Salben lassen sich akute Erkältungen, grippale Infekte oder Rückenschmerzen behandeln und in der Regel austherapieren. Werden beispielsweise Rückenschmerzen aber chronisch und treten über einen langen Zeitraum ohne diagnostizierbare Ursache wieder und wieder auf, schlagen viele Medikamente nicht mehr an oder müssen wiederholt in ihrer Dosis erhöht werden, um den Schmerz erfolgreich einzudämmen.

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Entdeckt wurde das Placebo von einem amerikanischen Arzt, der während des Zweiten Weltkriegs nicht über ausreichend Morphium verfügte, um die Schmerzen der verwundeten Soldaten zu lindern. Aus der Not heraus ersetzte er das Morphium durch eine in ihrer Zusammensetzung nicht gegen Schmerzen wirksame Kochsalzlösung. Trotzdem konnte er vielen Soldaten damit die Schmerzen nehmen – die scheinbare Medikamenteneinnahme hatte ausgereicht, um dem Gehirn die Wirkung des Morphins vorzugaukeln.

Die Bezeichnung „Placebo“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „ich werde gefallen“. Ein passender Begriff für ein Scheinmedikament, das seine Wirkung daraus zieht, die Vorstellungskraft des Gehirns anzusprechen. Auch die Bezeichnung seines Gegenspielers, des sogenannten „Nocebos“ hat lateinische Wurzeln. Dieser Begriff stammt vom Verb „nocere“ und lässt sich mit „ich werde schaden“ übersetzen.

Wie „wirken“ Placebos?

Echte Medikamente bestehen aus einem Wirkstoff bzw. einer Wirkstoffkombination und sogenannten Füllstoffen, z. B. Stärke oder Milchzucker. Placebos dagegen enthalten keinerlei pharmazeutische Wirkstoffe, sondern ausschließlich Füllstoffe. Weil sie keine unmittelbare körperliche, aber dennoch eine psychologische Wirkung besitzen, werden sie vor allem in klinischen Studien eingesetzt.

Dabei geht es in der Regel um Testreihen für neue Medikamente, die mit zwei Gruppen von Probanden durchgeführt werden. Während die eine Gruppe mit dem zu testenden Medikament behandelt wird, bekommt die andere lediglich Placebos verabreicht. Wer das Medikament und wer die Placebos erhält, wissen die Probanden in der Regel nicht, man spricht auch von einer Doppelblindstudie. Obwohl die Wirkstoffe des echten Medikaments nicht in den Placebos enthalten sind, zeigen sich immer wieder auch bei den Placebo-Probanden Veränderungen, und zwar sowohl positiver als auch negativer Art. Sind die Veränderungen positiv, bezeichnet man dies als Placebo-Effekt. Bei negativen Veränderungen spricht man dagegen nicht vom Placebo-, sondern vom Nocebo-Effekt.

Placebo: Reine Psychologie oder Wunderheilung?

Wer sich nicht damit auskennt, wie das Nervensystem und die Psyche zusammenwirken, dem mag der Effekt von Placebos wie eine Wunderheilung vorkommen. Andere halten das Ganze für reine Einbildung, doch tatsächlich spielen Faktoren wie die Vorstellungskraft und das Vertrauen eine zentrale Rolle bei der Erforschung der Placebo-Wirkung.

Für Placebo-Forscher steht heute fest, dass selbst Placebos, die mit dem Wissen der betroffenen Patienten verabreicht werden, für Schmerzlinderung sorgen können, und zwar keineswegs nur auf der Einbildungsebene: Durch die Zuversicht, dass das verabreichte Medikament schon helfen werde, scheinen neurochemische Veränderungen in Gehirn und Körper angestoßen zu werden, die dafür sorgen, dass tatsächlich eine Besserung eintritt.

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Das zeigen auch die Testreihen neuer Medikamente. Selbst wenn Probanden einer Studie unwissend Placebos einnehmen, werden im Gehirn dieselben Areale aktiviert, die auch bei Probanden mit „echten“ Medikamenten angesprochen werden. Hierdurch werden neurochemische Prozesse angestoßen, die den Schmerz effektiv lindern. Forscher haben außerdem herausgefunden, dass der Körper durch Placebos Endorphine ausschüttet, also morphiumartige Hormone, die schmerzhemmend auf den Körper wirken.

Die psychologische Dimension hinter Placebos

Die psychologischen Trigger, die beim Placebo-Effekt eine wichtige Rolle spielen, sind dabei besonders interessant. Sie bilden einen psychosozialen Kontext aus Reizen und Kognitionen. Besteht beispielsweise eine Erfahrung, dass eine bestimmte Art oder Form von Tabletten gegen Rückenschmerzen wirkt, wird diese als konditionierter Reiz ans Gehirn weitergeleitet und positiv verarbeitet. Diese Form des Reizes setzt das Gehirn in Relation zu noch unkonditionierten, also unbekannten Reizen, etwa einem unbekannten Medikament oder einem zuvor noch nicht eingenommenen Wirkstoff. Diese von außen zugeführten Reize stehen wiederum in Wechselwirkung mit psychosozialen Triggern – Vertrauen, Hoffnung, Erwartung und Überzeugung.

Der Placebo-Effekt ist also eine Mischung aus psychologischen und neurologischen Wirkungsweisen: Auch echte Medikamente, die durchaus auf einem Wirkstoff basieren, können einen Teil ihrer Wirkung auf die kognitiven Ursachen der Wirksamkeit, die bei Placebos in Kraft treten, zurückführen. Die Hoffnung, dass ein Medikament gegen eine Krankheit helfen möge, trägt also einen nicht unwesentlichen Teil zur Genesung bei; ebenso können sich aber Unsicherheit und Angst die beabsichtigte Wirkung negativ beeinflussen (Nocebo-Effekt).

Die Kraft der Illusion hat historische Wurzeln

Wirft man einen Blick zurück auf die Geschichte der Menschheit, sollte es kaum überraschen, dass Vertrauen, Hoffnung und letztlich Illusion wichtige Faktoren im Zusammenhang mit der Wirkung von Placebos darstellen. Schließlich gibt es pharmazeutische Arzneimittel und Medikamente erst vergleichsweise kurze Zeit. Bis ins 19. Jahrhundert waren die Menschen darauf angewiesen, Schmerzen und sogar Operationen ohne Anästhetika und Betäubungsmittel durchzustehen. So waren gängige medizinische Behandlungsmethoden des Mittelalters beispielsweise Schröpfen, Aderlass oder künstliche Eiterungen – ohne den Glauben an die Wirksamkeit der jeweiligen Methoden wohl kaum ein Allheilmittel. Trotzdem halfen der Glaube und die Zuversicht den Menschen dabei, auch schmerzhafte Erkrankungen zu überstehen – es steht zu vermuten, dass der Placebo-Effekt auch damals schon seine Rolle spielte.

Die Erkenntnis, wie eng Heilung und psychosoziale Auslöser wie Vertrauen und Glauben zusammenhängen, hilft insbesondere Schmerzpatienten dabei, ihre Situation neu einzuschätzen. Eine Bostoner Studie bestätigt, dass der Effekt, der bei Erkrankungen wie Reizdarm, Depressionen und dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom bereits als bestätigt gilt, auch erfreuliche Ergebnisse bei Rückenschmerzpatienten erzielt. Dieser Effekt beruht allerdings nicht, wie man viele Jahre lang glaubte, auf dem Glauben an dessen Wirkung – selbst Patienten, die wussten, dass sie ein Placebo einnahmen, berichteten nach der Einnahme von einer Besserung der Schmerzen. Selbst Paracetamol, das für viele Rückenschmerzpatienten häufig der erste Griff ist, wenn die Schmerzen eintreten, ist laut einer Studie nicht besser als die Einnahme von Placebos und lindert weder Schmerzen noch verbessert es die Beweglichkeit.

Der Begriff der Selbstheilungskräfte ist nämlich, das haben Forschungen bestätigt, kein Märchen: Der menschliche Körper verfügt über Ressourcen, die, wenn sie von den richtigen Reizen ausgelöst werden, die Selbstheilung auslösen können. Beschwerden wie Rückenschmerzen werden gelindert; sogar chronische Beschwerden können in ihrer Ausprägung reduziert werden. Und das alles nur, weil eine kleine weiße (oder bunte) Tablette ohne Wirkstoff die entsprechenden Botenstoffe im menschlichen Gehirn aktiviert.

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Häufige Patientenfragen

Wie kann ich den Placebo-Effekt am besten für mich nutzbar machen?

Dr. Tobias Weigl:
Letztlich ist der Placebo-Effekt vergleichbar mit einer positiven Grundeinstellung. Das bedeutet nicht, dass schwerwiegende Erkrankungen nicht behandlungsbedürftig wären, jedoch wirkt sich die eigene „Gesundheitsüberzeugung“ in hohem Maße auf den Heilungsprozess aus. Sie können Ihre Genesung oder jedwede Therapie somit tendenziell immer durch optimistische Affirmationen positiv beeinflussen und damit den Heilungsprozess beschleunigen.

Sind alle pflanzlichen Arzneimittel Placebos?

Dr. Tobias Weigl:
Nein. Die Phytotherapie, sprich die Behandlung von Krankheiten unter Zuhilfenahme pflanzlicher Wirkstoffe, ist eine sehr alte und vielfach auch wirkungsvolle Therapiemethode. Besonders bei kleineren Erkrankungen können pflanzliche Mittel Linderung verschaffen und vielfach sind moderne Medikamente auf bestimmte pflanzliche Wirkstoffe zurückzuführen bzw. wurden anhand dieser weiterentwickelt. Auch konnte die antibakterielle und teils antibiotische Wirkung zahlreicher Pflanzenextrakte mittlerweile nachgewiesen und ihre Wirkung damit erklärt werden (aktuelles Beispiel sind Studien zur Wirksamkeit von Salbei gegen eine Vielzahl an Krankheitskeimen). Bei anhaltenden Beschwerden sollte dennoch immer ein Arzt zu Rate gezogen und weitere Maßnahmen mit ihm abgesprochen werden.

Was ist mit homöopathischen Globuli? Auch nur Placebo?

Dr. Tobias Weigl:
Rein wissenschaftlich enthalten homöopathische Arzneimittel keinen Wirkstoff. Dennoch werden Sie von vielen Menschen als Alternative oder unterstützend zur schulmedizinischen Behandlung eingesetzt. In folgendem Artikel beleuchte ich das Thema Homöopathie intensiv:

Homöopathie in der Rückenschmerztherapie: Nicht mehr als Placebo

Einen Monat später ist Peter zur Nachkontrolle erneut im Krankenhaus und wie ausgewechselt.
„Herr Doktor, ich kann ihnen nur aus tiefster Seele danken!“, begrüßt er den Studienleiter. „Meine Rückenschmerzen sind mittlerweile nur noch wie ein böser Albtraum, den man langsam vergisst. Ich komme morgens endlich aus dem Bett, muss keine Sorge mehr haben, mich an den kleinsten Alltagsgegenständen zu verheben und kann sogar wieder mit meinem Sohn spielen. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch!“
Der Arzt notiert seine Angaben und fragt, ob Peter nach Abschluss der Studie das Ergebnis mitgeteilt bekommen haben und wissen wolle, ob er in der Schmerzmittel- oder der Placebo-Gruppe gewesen sei. Peter bejaht.
Einige Monate später erhält er ein Informationsschreiben der Uniklinik mit der Studienauswertung – und fällt aus allen Wolken. Offensichtlich war er doch tatsächlich in der Placebo-Gruppe gelandet! Das, sowie die Schmerzreduktionserfolge der Placebo-Gruppe machen ihn nachdenklich. Er beschließt wieder mit Physiotherapie und Rückentraining anzufangen – diesmal jedoch mit anderer Einstellung.

Mehr zum Thema Rückenschmerzen und zu speziellen Übungen zur langfristigen Verbesserung Ihrer Beschwerden finden Sie in folgender Videoreihe:

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Autoren: Dr. Tobias Weigl und Christine Pepersack
Redaktion: Anna-Alice Ortner
Veröffentlicht am: 12.06.2018, zuletzt aktualisiert: 08.02.2019

Die hier beschriebenen Punkte (Krankheit, Beschwerden, Diagnostik, Therapie, Komplikationen etc.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird genannt, was der Autor als wichtig und erwähnenswert erachtet. Ein Arztbesuch wird durch die hier genannten Informationen keinesfalls ersetzt.

Quellen

  • Hörzu – Gesundheit-Special: Die Kraft der Illusion, S. 22 ff., 2016
  • db/Pharmazeutische Zeitung (2014): Rückenschmerzen: Paracetamol nicht besser als Placebo. In: Pharmazeutische Zeitung.
  • Ahmad Ghorbania/Mahdi Esmaeilizadeh (2017): Pharmacological properties of Salvia officinalis and its components. In: Journal of Traditional and Complementary Medicine 7(4): S. 433–440.
  • gie/aerzteblatt.de (2016): Placebo: Selbst die wissentliche Einnahme lindert Rückenschmerzen. In: ärzteblatt.de.
  • Kumiko Horiuchi u. a. (2007): Antimicrobial activity of oleanolic acid from Salvia officinalis and related compounds on vancomycin-resistant enterococci (VRE). In: Biological and Pharmaceutical Bulletin 30/6, S. 1147–1149.

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