Nach einem Schlaganfall müssen Betroffene sich von diesem einschneidenden Erlebnis erst einmal erholen. Die Aufbauphase lässt aber nicht lange auf sich warten, denn der Schlaganfall kann dazu geführt haben, dass die Patienten die einfachsten Dinge nicht mehr beherrschen – und bspw. wieder laufen lernen müssen. Zwar finden daher immer verschiedene Ansätze aus Physio- oder Ergotherapie Anwendung. Bisher konnte ihr tatsächlicher Nutzen für die Rehabilitation der Patienten aber nicht ausreichend belegt werden. Die jetzt in der Fachzeitschrift The British Medical Journal von Agnes Flöel veröffentlichten Ergebnisse legen nahe:
Schlaganfall-Patienten stürzen nach ihrer Behandlung weniger, wenn sie Entspannungstechniken anstatt Laufband-Training absolvierten.
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Quellen ansehen„Diese Forschung liefert wichtige Erkenntnisse über die Intensität, die eine rehabilitative Behandlung von Schlaganfall-Patienten haben darf.“
— Dr. Dr. Tobias Weigl
Was sagt die Studie genau?
Den Anlass für die Studie bildete der Umstand, dass immer mehr Schlaganfall-Überlebende mit körperlichen Einschränkungen zu kämpfen haben, die sie in ihrem alltäglichen Leben einschränken. Dies führt auch dazu, dass mehr Personen Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nehmen. Bisher gibt es keine Medikamente, die eine solche Rehabilitation fördern. Man hat aber in verschiedenen Studien die Auswirkungen von Laufband-Training auf die Erholung untersucht und in den USA werden derlei Übungen auch empfohlen, da man annimmt, dass sich diese auf die neuronale Plastizität auswirkt und auch einen positiven Effekt auf die Funktionalität haben.
Analysen dieser Untersuchungen haben aber ergeben, dass sich die positiven Auswirkungen auf die funktionellen Einschränkungen nicht abschließend belegen lassen. Teile der Untersuchungen, die sich auf die ersten zwei bzw. sechs Wochen nach dem Schlaganfall konzentrierten, konnten keinerlei Besserung in Bezug auf die Funktionalität feststellen. In ihrer Studie fokussieren Agnes Flöel und ihr Team die ersten 5–45 Tage nach dem Schlaganfall und vergleichen dabei den Laufband- mit einem Entspannungsansatz.
Aufbau – 4 Jahre Daten
- Von 2013 bis 2017 wurden die Daten von 200 erwachsenen Schlaganfall-Patienten mit einem Durchschnittsalter von 69 Jahren erhoben.
- Die jeweiligen Schlaganfälle lagen zwischen 5 und 45 Tage zurück.
- Die Forscher haben die Patienten auf zwei Gruppen aufgeteilt: 105 Patienten gingen ins Laufband-Training, 95 haben eine Gruppe mit Entspannungsübungen besucht.
- Das Training erfolgte über einen Zeitraum von 4 Wochen fünf Mal wöchentlich zu je 25 Minuten.
- Bewertet wurden am Ende nach drei Monaten zwei wesentliche Faktoren: Die Verbesserung der Gehgeschwindigkeit auf 10 Meter Strecke und die Funktionalität (mithilfe des sogenannten Barthel-Index, mit dem sich Einschränkungen im Alltag bewerten lassen).
Der Barthel-Index ist ein Verfahren, mit sich die alltäglichen Fähigkeiten von Patienten bewerten lassen. Darin werden u. a. Aspekte wie Essen, Körperpflege oder Toilettengänge mit Punkten bewertet. Bei einem Barthel-Index von 100 (Maximum) ist ein Patient aber nicht gleich auch dazu in der Lage, seinen Alltag alleine zu bestreiten. Denn die abgefragten Aspekte umfassen bspw. nicht Behördengänge, das Einkaufen o. Ä. Vielmehr bedeutet ein maximaler Wert, dass Personen dazu in der Lage sind, die darin enthaltenen Aktivitäten eigenständig durchzuführen.
Ergebnisse – Geschwindigkeit und Einschränkung ähnlich, weniger Stürze in der Entspannungsgruppe
- Weder in puncto Gehgeschwindigkeit noch in Bezug auf den Barthel-Index haben sich zwischen den beiden Gruppen nennenswerte Unterschiede ergeben.
- Die Laufband-Gruppe kam auf eine durchschnittliche Geschwindigkeitsverbessrung von 0,4 m/s und einen Barthel-Index von 30.
- Die Entspannungsgruppe erzielte eine Verbesserung der Gehgeschwindigkeit um 0,3 m/s und einen Barthel-Index von ebenfalls 30.
- Aber: Nach dem Laufband-Training klagten hier mehr Teilnehmer über Schwindelgefühle oder Benommenheit. 38 von 105 Patienten gaben an, gestürzt zu sein, während es bei der Entspannungsgruppe nur 14 von 95 waren.
- Außerdem kam es in der Laufband-Gruppe auch häufiger wieder zu Schlaganfällen.
Implikationen – was sagen die Forscher zu ihren Ergebnissen?
- Flöel und ihre Kollegen raten dazu, das Laufbandtraining vor allem bei schwerer betroffenen Personen und in der frühen Phase nach dem Schlaganfall nicht zu erzwingen.
- Möglich: Je weniger schwer der Schlaganfall ausfällt, desto eher können Betroffene ins Training einsteigen.
Empfehlungen
Die Ergebnisse von Flöel und ihren Kollegen zeigen, dass eine überhastete Rehabilitation nach Schlaganfall keine großen Vorteile gegenüber Entspannungsverfahren hat und sogar mit unangenehmen Nebenwirkungen wie Schwindel einhergehen kann – und das kann schnell gefährlich werden, wenn man an der falschen Stelle stürzt.
Ähnliche Ergebnisse haben Forscher aus Chicago jüngst zutage gefördert. Diese hatten bei den Reha-Maßnahmen von Schlaganfall-Patienten darauf geachtet, das Training alltagsnah zu gestalten und die dort herrschenden Bedingungen in die Übungen zu integrieren. Auch hier zeigte sich: Das intensive Training ging öfter mit Stürzen einher.
Es ist also so, dass sich durch entsprechende Physiotherapie die Bedingungen für Schlaganfall-Patienten bessern lassen. Wann aber welche Übung Früchte trägt, ist nach wie vor eine Einzelfall-Entscheidung und notfalls sollte der Ratschlag der Forscher beherzigt werden: Das Training sollte nicht erzwungen werden.
Typisches Patientenbeispiel
Letzte Woche ist Willy die Gabel auf den Boden gefallen, als er beherzt seine Spaghetti aufrollen wollte – wenige Stunden später fand er sich auf der Intensivstation des nahe gelegenen Krankenhauses wieder – Diagnose: Schlaganfall. Irgendwie hat er das alles überstanden, aber mit dem Laufen will es nicht so recht fruchten. Im Internet hat er sich schlau gemacht und hat diese neuen Ergebnisse von der Uni Greifswald gefunden. Klingt interessant – schön entspannen, anstatt zu laufen. Aber für ihn kommt das wohl eher nicht in Frage, er würde eher in die Kategorie „leichter Schlaganfall“ fallen und muss daher ohnehin Lauftraining machen. Naja, dann verbrennt er dadurch wenigstens ein paar Kalorien, die er durch die Krankenhaus-Spaghetti zu sich nimmt.
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Haben Sie Fragen zur Studie? Haben Sie selbst oder Ihnen bekannte Personen einen Schlaganfall erlitten und mit den Folgen zu kämpfen? Richten Sie Ihre Fragen unten im Kommentarbereich an uns und tauschen Sie sich auch gerne mit anderen Lesern aus!
Autor: Dr. Dr. Tobias Weigl, Tobias Möller
Veröffentlicht: 24.09.2019
Quellen
- Agnes Flöel u. a. (2019): Physical Fitness Training in Patient with Subacute Stroke (PHYS-STROKE): multicenter, randomized controlled, endpoint blinded trial. In: The British Medical Journal 366:I5101.
- George Hornby u. a. (2019): Contributions of Stepping Intensity and Variability to Mobility in Individuals Poststroke – A Randomized Clinical Trial. In: Stroke 50/9, S. 2492–2499.
- Pschyrembel Redaktion (2018): Barthel-Index. In: Klinisches Wörterbuch Pschyrembel Online, pschyrembel.de.
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