Die Leukämie ist die häufigste maligne Erkrankung des Kindesalters, jedoch auch im hohen Erwachsenenalter keine Seltenheit. Die Fortschritte in der Knochenmarktransplantation und Immuntherapie haben dafür gesorgt, dass die Krankheit behandel- und heilbar geworden ist.
— Dr. Tobias Weigl
Von Medizinern geprüft und nach besten wissenschaftlichen Standards verfasst
Dieser Text wurde gemäß medizinischer Fachliteratur, aktuellen Leitlinien und Studien erstellt und von einem Mediziner vor Veröffentlichung geprüft.
Quellen ansehenAls Leukämie (von altgr. leukos ‚weiß‘) bezeichnet man historisch eine Zunahme der weißen Blutkörperchen. Hierzu zählen Lymphozyten (spezifische Immunabwehr), die primär in lymphatischen Organen wie den Lymphknoten, der Milz und dem Magen-Darm-Trakt beheimatet sind und Leukozyten (unspezifische Immunabwehr), die sich in mehrere Unterkategorien einteilen lassen und evolutiv eher „alte“ Schutzmechanismen des Körpers darstellen (z. B. unspezifische Parasiten- und Wurmabwehr). Durch bösartige Veränderungen des Knochenmarks kommt es zu verminderter Blutbildung bei gleichzeitiger Überpopulation der weißen Blutzellen und massenhaften Freisetzung unreifer Vorläufer (heute bilden diese Vorläuferzellen die Diagnosegrundlage einer Leukämie) in die Blutbahn. Andere lebensnotwendige Zellen wie z. B. die roten Blutkörperchen oder Thrombozyten (für die Gerinnungsfunktion) werden aus dem Knochenmark und Blut verdrängt. Je nach Klassifikation der Leukämie ist eine Heilung durch Bestrahlung und/oder Knochenmarktransplantation möglich. Die Überlebenswahrscheinlichkeit hängt dabei von zahlreichen Faktoren, etwa dem Alter oder dem Diagnosezeitpunkt, ab.
„Ich glaube, er hat mal wieder die Grippe.“, eröffnet seine Mutter etwas gereizt das Gespräch. „Er ist in den letzten Tagen richtig blass geworden, hat hohes Fieber, isst nichts mehr, klagt über Kopfschmerzen und Schwindel, aber Husten und Schnupfen kamen bisher Gott sei Dank noch nicht.“, schildert sie die letzten Tage.
Dr. Maiboom sieht sich den kleinen Patienten genau an. Lukas’ Arme sind übersät mit winzigen punktförmig-flohstichartigen Einblutungen, die Lymphknoten am Hals sehen bereits aus ein paar Schritten Entfernung geschwollen aus, die Augen scheinen müde und trüb. Der Kinderarzt lässt den Jungen die Arme heben und tastet die Achselregion ab. Auch hier sind die Lymphknoten stark geschwollen.
„Hat er in letzter Zeit vermehrt aus der Nase geblutet?“, fragt der Arzt.
„Ja, ständig“, antwortet seine Mutter etwas irritiert, „aber das ist ja normal bei kleinen Kindern, mein älterer Sohn hatte auch ewig Nasenbluten.“
Dr. Maiboom hat einen ersten Verdacht und schickt die Familie zur weiteren Abklärung in die nächste Kinderklinik.
Was sind Leukozyten?
Der Name Leukozyt leitet sich vom griechischen ‚leukos‘ (zu dt.: weiß) ab und bezeichnet eine Blutzellpopulation, die im Dienste des Immunsystems steht. Dabei lassen sich diese Zellen grob in angeborenes (unspezifisches) und adaptives (spezifisches, im Laufe der Jahre erworbenes) Immunsystem gliedern.
Das unspezifische Immunsystem besteht aus physikalischen Barrieren (wie z. B. der Haut), bakteriziden Proteinen der Schleimhäute, Fresszellen und antigenpräsentierenden Zellen. Zu den Fresszellen werden neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten gezählt, die vornehmlich Parasiten und Würmer abwehren und durch die Ausschüttung von Zytokinen (Lockstoffen) spezifische Immunzellen zum Ort des Befalls dirigieren und aktivieren. Zusammen mit den antigenpräsentierenden Zellen sind die Granulozyten jedoch auch in der Lage, Teile der pathogenen Keime/Bakterien an ihrer Oberfläche für das spezifische Immunsystem sicht- und erkennbar zu machen, sodass die Fremdzellen effektiver bekämpft werden können. Auch sogenannte Natürliche Killerzellen gehören dem unspezifischen Immunsystem an.
Das spezifische Immunsystem besteht aus Lymphozyten und den von ihnen gebildeten Antikörpern. Dabei sind die T-Lymphozyten primär für die Erkennung und Zerstörung infizierter Zellen verantwortlich. Zur Unterscheidung zwischen „fremd“ und „eigen“ nutzen die T-Lymphozyten verschiedene Oberflächenstrukturen. Sind diese z. B. mit Antigenen (Fremdteilchen) beladen, wird die entsprechende Zelle als infiziert erkannt und in die Apoptose, die gezielte Selbstzerstörung, getrieben. Die durch die Aktivität der T-Lymphozyten untergehenden oder eliminierten Zellen können ihrerseits kleinste Bakterien- oder Virenteilchen freisetzen, die in Summe für typische Krankheitssymptome wie Fieber, Gliederschmerzen und Entzündungszeichen sorgen. Die ebenfalls zum spezifischen Immunsystem zählenden B-Lymphozyten entwickeln sich nach Antigenkontakt zu sogenannten Plasmazellen, welche Antikörper produzieren. Diese Antikörper sind jeweils spezifisch für das entsprechende Antigen – kommt es zu einer neuerlichen Infektion mit demselben Bakterium oder Virus, binden die Antikörper an die Antigene, was wiederum die T-Zellen stimuliert, sodass die Immunantwort deutlich schneller erfolgt und die Krankheit frühzeitig überwunden wird.
Was ist eine Leukämie?
Der Begriff Leukämie geht historisch auf eine Entdeckung Rudolf Virchows aus dem Jahr 1845 zurück. Er beschrieb damit die relative Zunahme der weißlichen Fraktion in einem zentrifugierten Blutröhrchen bei Leukämie-Patienten. Der Begriff ist allerdings irreführend, weil eine Leukämie nicht zwingend mit einer (detektierbaren) Zunahme der Leukozyten im Blut einhergehen muss, die Leukozytenfraktion sogar erniedrigt sein kann. Deshalb wird die Diagnose einer Anämie heute nach der Ursache gestellt – dem Vorliegen irregulärer, unreifer Vorstufen der Leukozyten im Blut oder Knochenmark.
Dabei führen bösartige Veränderungen des Knochenmarks bzw. der Blutstammzellen dazu, dass die weißen Blutkörperchen ihre charakteristischen Entwicklungsstadien nicht oder nur anteilig durchlaufen und als unreife (und funktionslose) Vorstufen ins Blut entlassen werden. Reaktiv und durch die Entartung bedingt, vermehren sich die irregulären Stammzellen im Knochenmark und verdrängen andere Stammzellpopulationen, sodass es innerhalb von wenigen Tagen zu einem Mangel an Erythrozyten und Thrombozyten kommt. Typische, allgemeine Symptome einer Leukämie sind:
- Gewichtsverlust (ca. 10 % des Ausgangsgewichts in kürzester Zeit)
- Fieber (38,5° oder höher, nicht anderweitig erklärbar)
- Blässe
- Nachtschweiß
- Schwindel
- Lebervergrößerung (Bauchschmerzen rechts) und Milzschwellung (Bauchschmerzen links)
- erhebliche Blutungsneigung (Nasen- und Zahnfleischbluten, Hämatome bei kleinsten Traumen usw.).
Durch die funktionslosen Immun-Vorläuferzellen entwickelt sich außerdem eine zunehmende Immunschwäche. Virale und bakterielle Infekte, aber auch Pilzinfektionen (z. B. im Mundraum mit weißlich-rauen Belägen der Zunge) sind die Folge.
Beim Zerfall der entarteten Zellen (wie es bei schnell wachsenden Tumoren häufig zu beobachten ist oder im Rahmen einer Chemotherapie) kommt es zum sog. „Tumorlyse-Snydrom“ – die Inhaltsstoffe der untergehenden Zellen führen zu generalisierten Entzündungsreaktionen im Körper bis hin zum Organversagen.
Je nachdem, wie die Erkrankung verläuft und welche Zellreihen betroffen sind, gliedert man Leukämie-Erkrankungen in akute und chronische sowie lymphatische (betrifft die Lymphozyten) oder myeloische (betrifft die Leukozyten bzw. Granulozyten) Form.
Akute lymphatische Leukämie
Tritt besonders im frühen Kindes- oder hohen Erwachsenenalter auf und bildet die häufigste maligne Erkrankung vor Erreichen der Adoleszenz. Somit sind über 80 % der Leukämien im Kindesalter dieser Gruppe zuzuordnen.
Symptome
- Meningitis (Entzündung der Hirnhäute durch Lymphozyteninfiltrate)
- Lymphknotenschwellung: z.B. Lymphknoten am Hals, Lymphknoten in der Achsel, Lymphknoten in der Leiste
- Knochenschmerzen (Kinder können kaum laufen und müssen getragen werden)
- Pfeifen und Atemnot
Ursachen
Die Hintergründe der akuten lymphatischen Leukämie sind weitgehend unerforscht, bestimmte genetische Varianten sind jedoch häufig mit dieser Erkrankung assoziiert, so etwa haben Kinder mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) oder anderen chromosomalen Veränderungen ein erhöhtes Risiko, an Leukämie zu erkranken.
Akute myeloische Leukämie
Betrifft eher erwachsene Patienten höheren Alters.
Symptome
- Leukostase (Leukozyten haften vermehrt an Gefäßwänden und verursachen neurologische Auffälligkeiten bis hin zu Hirnblutungen)
- Gerinnungsstörung mit fortschreitender Blutungsneigung
- Zahnfleischveränderungen (Bläschen im Mundraum)
Ursachen
Bei der akuten myeloischen Leukämie sind eine ganze Reihe (mit)ursächlicher Faktoren bekannt, die eine entsprechende Stammzellentartung begünstigen. Hierzu zählen:
- Erkrankungen des Knochenmarks
- Trisomie 21 (Down-Syndrom)
- Chromosomale Anomalien
- Strahlenexposition (radioaktive Strahlung, Röntgen-Strahlen)
- Benzolexposition (Zigarettenrauch, Lösungsmittel, Erdöl, Abgase)
Chronisch lymphatische Leukämie
Ist die häufigste Leukämie-Form – die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung steigt mit dem Alter und liegt im Mittel bei 70 Jahren. Diese Form der Leukämie entwickelt sich meist über einen langen Zeitraum und bleibt viele Jahre ohne nennenswerte Symptome. Meist wird die Diagnose sogar zufällig im Rahmen von Routineblutuntersuchungen gestellt.
Im Blutausstrich lässt sich eine chronisch lymphatische Leukämie am ehesten durch das Vorhandensein sog. „Gumprecht-Kernschatten“, dunklen Verdichtungen im Zellinnern der Lymphozyten, feststellen. Alle gängigen Blutanalysegeräte sind mit entsprechender Software ausgestattet, welche die flächendeckende Beurteilung der Blutzellen auf Anomalien wie z. B. Kernschatten oder Auer-Stäbchen (typisch für eine akute myeloische Leukämie) ermöglicht. Eine relevante Anzahl entsprechender Normvarianten wird detektiert, dokumentiert und das Gerät meldet die Auffälligkeit dem Labormediziner. Dieser sieht sich im Folgenden die Geräteaufzeichnung an bzw. mikroskopiert seinerseits einen Ausstrich der zu beurteilenden Probe. Durch diese Doppel-Analyse lassen sich einerseits falsch positive Ergebnisse (Kernanomalien/zerplatzte Zellen durch z. B. langes Stauen während der Blutabnahme oder unsachgemäße Lagerung der Blutprobe, Verunreinigung des Röhrchens etc.) minimieren, andererseits ermöglichen die Analysegeräte eine Erfassung von über 200.000 Zellen pro Durchgang – was im Rahmen einer manuellen Analyse unvorstellbar wäre.
Neben den allgemeinen „Leukämie-Symptomen“ (siehe oben) sind besonders die im Folgenden genannten Krankheitszeichen wegweisend für die korrekte Diagnose.
Symptome
- Hautveränderungen (flächig-juckende, leicht gerötete Erhabenheiten, allg. Juckreiz)
- Erysipel (Wundbrand) mit raschem Absterben des betroffenen Gewebeareals
- Pilzinfektionen (rasenhafte weiße Beläge der Zunge und Schleimhäute)
- Virusinfektionen wie z. B. Herpes zoster (Gürtelrose)
- Schwellung der Tränen- und Ohrspeicheldrüse
Ursachen
Auch bei der chronisch lymphatischen Leukämie ist die konkrete Bandbreite an Ursachen nicht abschließend geklärt. Als Risikofaktoren haben sich herausgestellt:
- Genetische Faktoren (chronisch lymphatische Leukämie in der Familie)
- Hohes Alter
- Chemikalienexposition (Farben, Stäube, Lösungsmittel)
Chronisch myeloische Leukämie
Ist ebenfalls eher eine Erkrankung des hohen Erwachsenenalters, kann jedoch, wenn auch selten, ebenso bei Kindern auftreten. Charakteristisch ist außerdem ein phasenweiser Krankheitsverlauf, der in Symptomausprägung- und schwere mit dem Grad chromosomaler Veränderungen korreliert, die im Verlauf der Erkrankung zunehmend auftreten und verschiedene Zellreihen betreffen können.
Chronische Phase
Entwickelt sich im Verlauf eines Jahrzehnts und ist gekennzeichnet durch leichte, eher allgemeine Krankheitssymptome wie Gewichtsverlust, Müdigkeit und Bauchschmerzen, die darauf zurückzuführen sind, dass zunehmend blutbildende Zellen aus dem Knochenmark verdrängt werden und die Blutbildung (im Gegensatz zu den anderen Leukämieformen) kompensatorisch in der Milz stattfindet. Hieraus ergeben sich eine chronische Milzschwellung mit Beschwerden im linken Oberbauch sowie das Fehlen eines typischen Leukämiesymptoms, nämlich der Infektanfälligkeit. Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass die Blutbildung, wenn auch eingeschränkt, weiter stattfindet.
Alzelerationsphase
Durch weitere Mutationen kommt es im Verlauf zur immer stärkeren Verdrängung der anderen Blutzellen aus dem Knochenmark, sodass die entsprechenden Mangelerscheinungen deutlicher in den Vordergrund rücken. Im Detail kommt es zur:
- Anämie durch drastische Verringerung der Erythrozyten
- Gerinnungsstörung mit flohstichartigen Blutungen
- Leukostase (s.o.) mit Thromben bis hin zum Milz- oder Herzinfarkt
- Venenverschlüsse (meist kleine Gefäße z. B. im Bereich des Auges)
- Knochenmarksdegeneration
Blastenschub
In dieser letzten Phase der chronisch myeloischen Leukämie kommt es zur massenhaften Freisetzung der unreifen Leukozytenvorstufen ins Blut, die Symptome ähneln nun den akuten Leukämieformen mit starken Krankheitszeichen, schmerzhafter Milzschwellung bis hin zur Milzruptur, progredienter Knochenmarksinsuffizienz (alle anderen Blutzellreihen sind nun massiv verringert) und deutlich reduziertem Allgemeinzustand. Alltägliche Tätigkeiten können kaum mehr ausgeführt werden, schwere Infektionen, Atemnot, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und neurologische Symptome treten in den Vordergrund.
Ursachen
Auch hier ist die konkrete Ursachenforschung schwierig. Als Risikofaktoren gelten:
- Strahlenexposition
- Benzol
Was tut der Arzt? Teil 1: Die Diagnose
Die korrekte Diagnose „Leukämie“ gestaltet sich initial oft schwierig, da die Frühsymptome recht unspezifisch und gerade für Kinder häufig sind. Letztlich bedarf es der Kombination verschiedener Untersuchungen, um eine Leukämie festzustellen und von anderen Erkrankungen (z. B. Borreliose, Pfeiffersches Drüsenfieber, Erythrozytenanomalien) abzugrenzen.
Anamnese und körperliche Untersuchung
Anamnestisch fallen Leukämiepatienten neben den beschriebenen allgemeinen Krankheitszeichen ggf. durch neurologische Auffälligkeiten, Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Lethargie und Hirnvenenverschlüsse auf. In der körperlichen Untersuchung lassen sich oft generalisierte Lymphknotenschwellungen sowie zahlreiche Hämatome und kleine Einblutungen feststellen. Die Patienten klagen meist auch über erhebliche Blutungsneigung, Bauchschmerzen und ggf. diffusen Knochenschmerz.
Blutanalyse
Wie oben bereits erwähnt, liefert die absolute Leukozyten-Zellzahl keine valide Beurteilungsgrundlage, ob eine Leukämie vorliegt, da je nach Form der Erkrankung auch ein Leukozytenmangel oder ein zahlenmäßiger Normalbefund auftritt. Als wegweisend gelten daher unreife Vorläuferzellen (sog. ‚Blasten‘) sowie (alte) reife Leukozyten, während die Reifestufen zwischen Vorläufern und adulten Zellen fehlen (sog. ‚Hiatus leucaemicus‘, etwa: leukämische (Zellentwicklungs-)Lücke). Auch sind je nach Leukämieform charakteristische Veränderungen der Zellform oder des Zellinneren zu erkennen (Gumprecht-Kernschatten, Auer-Stäbchen). Alle übrigen Blutzellreihen sind typischerweise verringert.
Auch die Blutanalyse liefert noch keine sichere Diagnose, da die Blutzellreihen auch bei z. B. Vitaminmängeln oder Fehl- und Unterernährung verringert sein können und Kernschatten etc. auch durch unsachgemäße Blutentnahme und -lagerung zustande kommen. Gewissheit liefern dahingehend nur die oben genannten Diagnoseschritte in Kombination mit einer Knochenmarkspunktion.
Knochenmarksuntersuchung
Hierbei wird mittels einer Hohlnadel Knochenmark aus dem Beckenkamm entnommen. Es handelt sich dabei um einen relativ kleinen Eingriff, der unter Lokalbetäubung vorgenommen werden kann. Ist die Punktion aufgrund einer fortgeschrittenen Knochenmarksinfiltration erfolglos, greift man in der Regel auf eine Stanzbiopsie zurück. Das Verfahren ist prinzipiell äquivalent, es wird lediglich ein Hohlzylinder anstelle der Nadel verwandt und das entnommene Knochenmarksareal ist entsprechend größer. Dahingehend wird der Eingriff nur unter Vollnarkose durchgeführt. Die enthaltenen Zellen werden auf ihren „Reifegrad“ und das Verhältnis Vorläuferzellen (Blasten) zu adulten Zellen hin untersucht. Immuntypisierung und genetische bzw. chromosomale Untersuchungen runden die Beurteilung ab.
Lässt sich eine Leukämie nachweisen, folgt meistens noch eine Liquorpunktion (Hirnwasserentnahme), um den Gehirnbefall einschätzen zu können. Ebenso werden im Rahmen der Bildgebung Aufnahmen des Brust- und Bauchraumes gemacht, die eine Beurteilung der Leber- und Milzbeteiligung zulassen.
Was tut der Arzt? Teil 2: Die Behandlung
Die konkrete Therapie richtet sich sowohl nach der Leukämieform als auch weiteren Komponenten, etwa dem Alter und Allgemeinzustand des Patienten, vorbestehenden Erkrankungen, genetischen Veränderungen und dem Willen des Erkrankten. Grundsätzlich steht primär die Remission, also die Zerstörung des Tumorgewebes mittels Chemotherapie und Bestrahlung, im Vordergrund. Anschließend gilt es, den „tumorfreien Zustand“ zu erhalten. In diese Phase fällt z. B. eine Stammzelltransplantation, wenn im Knochenmark des Patienten keine „normale“ Blutzellbildung mehr möglich ist. Ergänzend werden Hygienemaßnahmen sowie Antibiotika– bzw. Pilzprophylaxe empfohlen, um den Patienten vor weiteren schwächenden Faktoren zu schützen.
Aktuelles aus der Forschung
Normalerweise erkennt und eliminiert das körpereigene Immunsystem infizierte oder entartete Zellen. Die Unterscheidung in krank/gesund gelingt den Immunzellen mit Hilfe bestimmter Oberflächenstrukturen. Dabei werden kontinuierlich Bestandteile aus dem Zellinnern (i.d.R. Proteine) über diese Oberflächenstrukturen an der Außenseite der Zelle präsentiert und wirken somit als „Erkennungssignal“ für das Immunsystem. Ist die Zelle entartet, tauchen vermehrt Antigene, vom Körper als „fremd“ eingestufte Proteine, an der Zelloberfläche auf und die Zelle wird getötet. Viren wie das HI-Virus, aber auch Krebszellen, entgehen diesem Mechanismus, indem sie die Anzahl der Präsentations-Oberflächenstrukturen herunterregulieren oder die Bildung entsprechender Proteinfragmente unterdrücken. Somit bleiben die Krebszellen unerkannt.
Hauptziel aktueller Krebsforschungen ist deshalb, diesen Maskierungsmechanismus rückgängig zu machen bzw. zu umgehen. Im Falle der chronisch lymphatischen Leukämie, der häufigsten Leukämie-Form im Erwachsenenalter, haben Forscher der Universität Heidelberg eine Immuntherapie entwickelt, die Hoffnung macht. Als Tumorzellmarker wurde ein Komplex entwickelt, der als Antigen das Eppstein-Barr-Virus enthält, ein „Fremdprotein“, mit dem die meisten Menschen bis zu ihrem 40. Lebensjahr schon in Berührung gekommen sind und gegen das entsprechend Antikörper vorhanden sind. Die Tumorzellen nehmen das Virus auf, präsentieren es an der Zelloberfläche, wo es von Immunzellen rasch erkannt und die entartete Zelle entsprechend ausgeschaltet wird. Unter Laborbedingungen konnten bereits Erfolge mit dieser Immuntherapie erzielt werden, nun soll die Anwendung bei Erkrankten folgen.
Komplikationen
Besonders im Zuge der chemotherapeutischen Behandlung kann es zum sog. Tumorlyse-Syndrom kommen. Durch den massiven Tumorzellzerfall bei gleichzeitigem Mangel an Fresszellen können die Zellfragmente nicht adäquat abgeräumt werden, es kommt zur Freisetzung von Elektrolyten (besonders Phosphat, Calcium, Kalium) und weiteren Zellbestandteilen, die in der Niere zu Kristallen ausfallen und das Organ schwer schädigen. Des Weiteren kann der Kaliumüberschuss zu Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzflimmern und Herzstillstand führen.
Der drohenden Niereninsuffizienz kann durch Hydrierung und ggf. Absetzen „nierenbeeinflussender“ Medikamente entgegengewirkt werden. Zur Verhinderung der Kristallausfällung kommen Hemmstoffe des Harnsäurestoffwechsels wie z. B. das Medikament Allupurinol zum Einsatz, welches üblicherweise der Gichtbehandlung dient.
Eine weitere Komplikation der Leukämie ist das Leukostase-Syndrom. Hierbei kommt es durch den Leukozytenzellüberschuss zur Adhäsion der weißen Blutkörperchen an Gefäßwände, was zu Mikrozirkulationsstörungen, Thromben, Gefäßverschlüssen und
-rupturen führen kann. Besonders betroffen sind die Kapillaren der Lunge und des Gehirns. Verschlüsse in diesen Gebieten führen rasch zu neurologischen Ausfällen (z. B. epileptischen Anfällen), Atemnot mit generalisierter Sauerstoffunterversorgung sowie Einblutungen ins Gehirn. Bei extrem erhöhten Leukozytenzahlen (über 100.000 pro Mikroliter) kann eine Dialyse mit selektiver Entfernung der weißen Blutkörperchen indiziert sein. Eine generalisierte Leukostase stellt einen absoluten Notfall dar!
Häufige Patientenfragen
Ist Leukämie heilbar
Dr. T. Weigl
Unter „Heilung“ würde man im medizinischen Kontext das vollständige Verschwinden der Zellentartung mitsamt aller Symptome und einen krankheitsfreien Normalzustand verstehen. Dies ist leider nicht bei allen Leukämie-Formen möglich und ist abhängig vom Diagnosezeitpunkt, begleitenden Erkrankungen und Einschränkungen, Lebensalter sowie vielen weiteren Faktoren. Ist im Verlauf der Erkrankung eine Knochenmarktransplantation nach vorhergegangener Chemotherapie durch einen geeigneten Spender möglich, stehen die Chancen gut, eine völlige Wiederherstellung der normalen Knochenmarksfunktion zu erreichen und die Krankheit zu besiegen. Bei sehr alten oder geschwächten Patienten bzw. Menschen, für die bisher kein geeigneter Spender gefunden werden konnte, muss man sich auf eine Chemotherapie und selektive Zellhemmung beschränken. Auch hier werden „krankheitsfreie“ Perioden erreicht, Rezidive sind jedoch häufig und die therapeutische Begleitung über lange Zeiträume nötig.
Warum komme ich nicht als Knochenmarksspender für mein Kind in Frage?
Dr. T. Weigl
Damit das Spenderknochenmark vom Empfänger nicht sofort als „fremd“ abgestoßen wird, müssen bestimmte Zelloberflächenstrukturen übereinstimmen. Bei Transplantationen ist somit das Vorhandensein identischer HL(A)-Antigene (humane Leukozyten Antigene) auf den weißen Blutkörperchen entscheidend für den Transplantationserfolg. Leider sind selbst Eltern und ihre Kinder oder Geschwister nicht zwingend mit denselben HLA Oberflächenstrukturen ausgestattet und als Spender somit ungeeignet. Einige Forschungsarbeiten deuten jedoch darauf hin, dass es eine Lösung für das Problem geben könnte. Durch Aufreinigung des elterlichen Knochenmarks konnten lediglich die kompatiblen Elemente transplantiert werden – der Heilungserfolg in den parallel verlaufenden Studien zeigte dieselben Ergebnisse (ca. 70 % ohne Abstoßungsreaktion) wie herkömmlich-passende Stammzelltransplantationen. Das Verfahren könnte somit in Zukunft die Spendersuche deutlich vereinfachen.
Was kann ich tun, um eine Leukämie-Erkrankung zu verhindern?
Dr. T. Weigl
Da die Datenlage hinsichtlich der Erkrankungsursachen noch relativ dünn ist, gibt es leider keinen konkreten Schutzfaktor, der eine Leukämie verhindern könnte. Grundsätzlich sollte jedwede Strahlenexposition möglichst vermieden bzw. gering gehalten werden, aber auch lang anhaltender Kontakt mit Benzolen, Feinstäuben und Lösungsmitteln hat sich als krankheitsbegünstigend erwiesen. Falls Sie in entsprechenden Branchen tätig sind, sollten Sie in ihrem eigenen Interesse die Regeln des Arbeitsschutzes akribisch befolgen.
Was Sie unabhängig davon gegen Leukämie tun können, ist, selbst Stammzellspender zu werden. Mit Ihrer Spende können Sie vielleicht ein junges Patientenleben retten! Nähere Informationen dazu finden Sie hier.
Verwandte Themen
- Blut – Aufgaben & Funktion von Blut
- Krebs Teil 1 – Definition, Entstehung, Risikofaktoren und Vorsorge
- Krebs Teil 2 – Von der Diagnose zur Therapie: allgemeine Erläuterungen zu Klassifikation und Staging
- Großteil der Krebserkrankungen ist vermeidbar
- Down Syndrom – Ursachen der Trisomie 21
- Herpesviren und ihre zugehörigen Erkrankungen – eine Übersicht
Haben auch Sie Erfahrungen mit Leukämie? Oder weitere Fragen? Teilen Sie Ihre Gedanken mit den anderen Lesern und mit uns!
Die hier beschriebenen Punkte (Krankheit, Beschwerden, Diagnostik, Therapie, Komplikationen etc.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird genannt, was der Autor als wichtig und erwähnenswert erachtet. Ein Arztbesuch wird durch die hier genannten Informationen keinesfalls ersetzt. Autoren: Dr. Tobias Weigl, Anna-Alice OrtnerRedaktion: Tobias Möller
Veröffentlicht am: 02.10.2018, zuletzt aktualisiert: 13.05.2019
Quellen
- hil/aerzteblatt.de (2018): Neuer Ansatz für Immuntherapie bei chronisch lymphatischer Leukämie.
- idexx.eu (2008): IDEXX LaserCyte® Hämatologie-Analysegerät – Fallbeispiele und technisches Handbuch.
- Helmut Löffler et al. (2012): Atlas der klinischen Hämatologie. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg.
- Lorenzo Moretta et al. (2017): Outcome of children with acute leukemia given HLA-haploidentical HSCT after αβ T-cell and B-cell depletion. In: Blood 2017 130:677-685; doi.
- Christian P. Schaaf, Johannes Zschocke (2008): Basiswissen Humangenetik. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg.
- Stiftung Deutsche Krebshilfe (Hrsg.) (2016): Leukämie bei Erwachsenen – Antworten. Hilfen. Perspektiven. In: krebshilfe.de.
- Maria Yiallouros (2008): Knochenmarkuntersuchung. In: kinderkrebsinfo.de.
Nina Hayder
14.06.2022 07:02Meine Nichte hatte leider Leukämie. Sie ist der Grund dafür, warum meine Tochter nun unbedingt offenen Stellen für Kinderkrankenschwestern sucht. Für sie ist es wichtig, anderen zu helfen. Daher finde ich es interessant, dass sogar Schwindel ein Anzeichen für Leukämie sein kann.