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Multiple Sklerose (MS) – Chronische Entzündungen in Gehirn und Rückenmark

Auf einen Blick: Was ist Multiple Sklerose?

  • chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems
  • lateinisch multiplex ‚vielfach‘ und skleros ‚hart‘ → Entzündungen heilen im Nervensystem ab und hinterlassen Verhärtungen

Wer bekommt Multiple Sklerose?

  • 2,5 Millionen Erkrankte weltweit
  • vorwiegend in Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland
  • Deutschland: etwa 120.000 Menschen
  • Erkrankung ereignet sich erstmalig größtenteils um das 30. Lebensjahr herum
  • Frauen sind häufiger betroffen als Männer

Frühsymptome (Auszug)

  • Gangstörungen
  • Missempfindungen (z. B. Taubheitsgefühl)
  • Augenschmerzen durch entzündeten Sehnerv
  • Sehstörungen
  • Lähmungen
  • Koordinationsstörungen

Behandlung (Auszug)

  • drei wichtige Ansätze:
    • Schubtherapie
    • Verlaufsmodifizierende Therapie
    • Behandlung der Symptome
  • hauptsächlich medikamentös
  • Physiotherapie, Psychotherapie, Ergotherapie, Logopädie und mehr möglich, je nach Notwendigkeit

Bei der Multiplen Sklerose handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Die ersten Anzeichen der Erkrankung tun sich meist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren auf. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu herdförmigen Verletzungen am Nervensystem, wodurch letztlich Signale schlechter oder gar nicht mehr weitergeleitet werden können. Die Krankheit hat verschiedene Verlaufsformen, am häufigsten ist aber die schubförmig remittierende Multiple Sklerose. Oft kommt es durch die Erkrankung über die Zeit zu einer Anhäufung von Behinderungen, die Betroffene immer weiter einschränken. Die Diagnose der Multiplen Sklerose erfolgt vorwiegend über die klinische Untersuchung, Laboruntersuchungen sowie anhand der Bildgebung. Die Behandlung konzentriert sich vor allem auf die medikamentöse Therapie. Bisher ist die Erkrankung nicht heilbar. Was genau es mit der Erkrankung auf sich hat, wie im Detail bei der Behandlung vorgegangen wird und was Betroffene für sich tun können, erfahren Sie im nachfolgenden Artikel.

Sind Sie von MS betroffen oder kennen Sie Menschen mit dieser Erkrankung? Informieren Sie sich im folgenden Artikel gerne weiter und teilen Sie Ihre Erfahrungen mit uns und anderen Lesern im Kommentarbereich unter dem Artikel.

Was ist Multiple Sklerose?

Eingangs haben wir bereits erwähnt, dass es sich bei der Multiplen Sklerose (kurz: MS) um eine sowohl chronisch entzündliche als auch degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems handelt. Dieser Teil des Nervensystems umfasst die Nervenstrukturen unseres Gehirns sowie unseres Rückenmarks.

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Medizinisch wird die Erkrankung in vier verschiedene Verlaufsformen unterteilt, und zwar je nach Aktivität und Fortschreiten der Krankheit. Man unterscheidet die folgenden vier Formen:

  • Klinisch isoliertes Syndrom (kurz: KIS): Hierbei handelt es sich um den Zeitpunkt, an dem die Beschwerden das erste Mal auftreten und möglicherweise auf eine Multiple Sklerose hindeuten. Die Kriterien zur Diagnose von MS sind hier noch nicht erfüllt.
  • Schubförmig verlaufende MS (kurz: RRMS, von engl. Relapsing Remitting MS): Dies ist die häufigste Form der MS mit etwa 85 Prozent aller Erkrankten. Es ereignen sich schubartig neurologische Ausfälle (anfangs etwa zwei Mal pro Jahr), die sich teilweise oder sogar ganz zurückbilden. Zwischen den Schüben nehmen mögliche Behinderungen nicht zu. 50 Prozent dieser Fälle gehen nach 10 Jahren in die SPMS über.
  • Sekundär progrediente MS (kurz: SPMS): Die Behinderungen nehmen fortschreitend zu, nachdem die Krankheit zunächst in Form von Schüben verlief.
  • Primär progrediente MS (kurz: PPMS): Diese eher seltene Form der MS betrifft etwa 15 Prozent aller Erkrankten und beschreibt den Umstand, dass die Behinderungen bereits seit Krankheitsbeginn zunehmen und sich vorher keine Schübe ereignet haben.

Es existiert noch eine weitere Unterform, nämlich das radiologisch isolierte Syndrom (kurz: RIS). Bei diesen Patienten lassen sich in der Bildgebung zwar Verletzungen am Rückenmark oder Gehirn erkennen, sie haben allerdings keine Beschwerden. 30–45 Prozent der vom RIS Betroffenen entwickeln aber nach durchschnittlich 2–5 Jahren entweder eine RRMS oder eine SPMS.

Was passiert bei Multipler Sklerose in unserem Körper?

Bei der Multiplen Sklerose tun sich im Bereich des Rückenmarks und des Gehirns mehrere Entzündungsherde auf. Diese haben eine sogenannte Entmarkung, auch Demyelinisierung, und eine Zerstörung der betroffenen Nervenzellfasern zur Folge. Die Demyelinisierung beschreibt die Zerstörung der Myelinscheiden. Diese umgeben spiralförmig Nervenfasern. Durch die Zerstörung und den Verlust der Nervenfasern kommt es zur Hirnatrophie – das Gehirn schindet, die Hirnsubstanz nimmt ab.

Vorwiegend von den Verletzungen bzw. Entzündungen betroffen sind der Sehnerv, der Hirnstamm, das Rückenmark, das Kleinhirn und die Bereiche, die die Gehirnventrikel umgeben. Letztere beschreiben mit Liquor, also „Gehirnwasser“, gefüllte Hohlräume. Aber wieso kommt es zu diesen Entzündungen?

Der Mechanismus der Entzündung kommt hier am ehesten einer Autoimmunreaktion nahe. Zellen des Immunsystems überwinden die Blut-Hirn-Schranke und greifen das körpereigene Myelin an, das die Nervenfasern umgibt. Wenn die Nervenfasern dann geschädigt sind, können sie Erregungen nicht mehr so gut weiterleiten. Dies äußert sich dann bspw. in Form von Muskelschwäche oder Sensibilitätsstörungen.

Während der Körper am Anfang noch in der Lage ist, die oben angesprochenen Demyelinisierungen rückgängig zu machen, sind bereits geschädigte Nerven nicht mehr heilbar. Dieser Umstand ist auch dafür verantwortlich, dass es später zu den bleibenden neurologischen Ausfällen kommt.

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Die Entzündungsreaktion selbst hat immer einen chronischen Verlauf und kann daher auch immer gemessen werden. Bei Schüben ist sie besonders ausgeprägt, bei einem fortschreitenden Verlauf nimmt sie über die Zeit ab. Je weiter die Krankheit fortgeschritten ist, desto mehr tritt der Verlust der Nervenfasern in den Vordergrund. Mehr und mehr Nervenfasern werden zerstört oder gehen verloren, das Hirngewebe nimmt weiter ab.

Und warum erkrankt man an Multipler Sklerose?

Bis heute gibt es keine eindeutig geklärte Ursache für die Multiple Sklerose. Vielmehr geht man in der Forschung von verschiedenen Umweltfaktoren aus, die ihre Entstehung begünstigen – im Zusammenspiel mit einer familiären Veranlagung. Vor diesem Hintergrund wären die Umweltfaktoren diejenigen Einflüsse, die bei einem Menschen mit entsprechender Veranlagung die Immunantwort auslösen, die letztlich zur Zerstörung der Nervenfasern führt. Generell könnte man also sagen, dass bei familiärer Veranlagung sowie bei weiblichem Geschlecht ein höheres Risiko für die Entstehung der Multiplen Sklerose besteht. Umweltfaktoren, die dann zum Entstehen der Erkrankung beitragen können, sind:

  • Krankheitserreger
  • wenig Sonneneinwirkung und daraus resultierend Vitamin-D-Mangel
  • Rauchen
  • Übergewicht
  • hohe Zufuhr von Kochsalz

In diversen Studien konnte bereits gezeigt werden, dass Infektionen mit Krankheitserregern wie bspw. dem Eppstein-Barr-Virus das Risiko für Multiple Sklerose erhöht haben. In diesem Zusammenhang ist das Virus aber nicht als Auslöser der Erkrankung zu verstehen. Vielmehr begünstigt es die Chance auf eine Funktionsstörung in der Immunantwort, wenn die Person entsprechend familiär veranlagt ist.

Außerdem diskutiert man in der Medizin schon länger die Möglichkeit, dass ein Vitamin-D-Mangel infolge einer zu geringen Sonneneinwirkung als möglicher Umweltfaktor in Frage kommt. Aufgefallen ist dies, da sich die Erkrankung in skandinavischen Ländern häufiger ereignet. Vitamin D hat im Körper u. a. eine immunmodulatorische Funktion, es kann also das Immunsystem beeinflussen, und wird besonders bei Sonneneinstrahlung gebildet. Studien befassen sich also aktuell damit, ob von außen zugeführtes Vitamin D den Krankheitsverlauf möglicherweise positiv beeinflussen kann.

Einfluss von Ernährung, Tabakkonsum und Geschlecht

Außerdem Gegenstand aktueller Diskussion bzgl. der Ursache für Multiple Sklerose ist die Ernährung, genauer die erhöhte Kochsalzzufuhr in Industrieländern. In Tiermodellen wurde dieser Zusammenhang bereits nachgewiesen. Dort hat die hohe Kochsalzzufuhr dafür gesorgt, dass die Blut-Hirn-Schranke geschädigt wurde, wodurch die Immunzellen, die das Myelin angreifen, in das Gehirn gelangen konnten. Dieser Umstand wurde vorwiegend bei weiblichen Tieren beobachtet. In diesem Zusammenhang interessant: Möglicherweise kann therapeutisch eine HDL-cholesterinreiche Ernährung dazu beitragen, dass sich das Erkrankungsrisiko senkt, da diese Substanz eine möglicherweise schützende Wirkung auf die Blut-Hirn-Schranke hat. Bisher ist der genaue Einfluss der Ernährung auf die Multiple Sklerose aber nicht geklärt. Es werden Zusammenhänge zwischen der Darmflora und der Erkrankung vermutet, die aktuell auch Gegenstand von Studien sind.

Dass Rauchen schädlich ist, wissen wir alle – und das gilt auch für die Multiple Sklerose. In Studien war das Risiko für eine Entstehung der Erkrankung bei Rauchern um 50 Prozent erhöht und stieg, je mehr geraucht wurde. Außerdem hat das Rauchen einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Aktivität der Multiplen Sklerose, sodass Betroffene davon profitieren würden, mit dem Rauchen aufzuhören.

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Auffällig an der Multiplen Sklerose ist auch, dass weitaus mehr Frauen erkranken als Männer (etwa drei Mal so oft), und dass die Zahl erkrankter Frauen vor allem in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Auch hierfür sind die Ursachen noch nicht geklärt. Man vermutet allerdings, dass die Geschlechter unterschiedlich stark etwaigen Umweltfaktoren ausgesetzt sind, wodurch sich auch das ungleich höhere Erkrankungsrisiko für Frauen ableiten ließe. Selbst die gleiche genetische Veranlagung bei beiden Geschlechtern hat mehr erkrankte Frauen zur Folge.

Die Symptome: Welche Beschwerden verursacht Multiple Sklerose?

Vorab sollte an dieser Stelle gesagt sein, dass die Multiple Sklerose viele verschiedene Symptome verursachen kann, die u. a. mit dem Erkrankungsalter sowie den von den Entzündungen betroffenen Regionen abhängt.

Zu Beginn der Erkrankung kommt es zu einzelnen oder auch mehreren sensorische, motorische, visuellen oder Hirnstamm-Symptomen und es ereignen sich auch neurokognitive und psychische Beschwerden. Das ist jetzt erstmal viel Kauderwelsch, der im Folgenden aufgeklärt werden soll.

Typisch für den Krankheitsbeginn ist eine Entzündung des Sehnervs, die mit Sehstörungen, Augenschmerzen und Doppeltsehen einhergehen kann. Außerdem ereignen sich in diesem Frühstadium auch Sensibilitätsstörungen. Dazu gehören u. a. Missempfindungen, Gefühle von Taubheit sowie Schmerzen in Armen und Beinen. Derlei Beschwerden werden ggf. ergänzt durch Gangstörungen, die sich häufig durch eine belastungsabhängige (wenn wir also auftreten) Schwäche sowie einen unsicheren Gang äußern. Häufig ereignen sich am Anfang aber auch schon neuropsychologische Beschwerden wie Müdigkeit oder andere kognitive Beeinträchtigungen. Tatsächlich konnte man anhand von Studien sogar zeigen, dass die Müdigkeit schon vor der eigentlich möglichen Diagnose häufiger auftritt als bei gesunden Menschen.

Gut zu wissen!Die hier erwähnte Entzündung des Sehnervs ist bei jüngeren Menschen zu Krankheitsbeginn häufig das einzige Symptom, bei älteren Menschen kommt es zu Beginn oft zunächst ausschließlich zu Lähmungserscheinungen.

Grobe Einteilung des Beschwerdebildes

Die mit Multipler Sklerose in Verbindung stehenden Beschwerden lassen sich grob in sechs verschiedene Felder einteilen:

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  • neuropsychologische Symptome
  • motorische Symptome
  • Schmerzen
  • Blasenstörungen
  • Darmstörungen
  • sexuelle Dysfunktion

Unter die neuropsychologischen Symptome fallen zum einen die kognitiven Beeinträchtigungen. Es kann sein, dass Betroffene sich nur noch schlecht konzentrieren können, unaufmerksam sind und an Gedächtnisleistung einbüßen. Zum anderen gehört zu diesem Bereich die schon oben angesprochene Müdigkeit, in der Medizin als Fatigue bezeichnet. Betroffene sind tagsüber müde, sowohl muskulär als auch kognitiv erschöpft und Faktoren wie Wärme oder körperliche Anstrengung verschlimmern diesen Umstand, ebenso wie bereits bestehende Erkrankungen mit ähnlichem Beschwerdebild, bspw. eine Schilddrüsenunterfunktion oder eine Blutarmut. Auch zu den neuropsychologischen Beschwerden zählt die Depression, die in allen Phasen der Erkrankung bestehen kann.

Die motorischen Symptome umfassen eine weitere Fülle möglicher Beschwerden. Dazu zählt u. a. die Spastik. Damit beschreibt der Mediziner eine erhöhte Grundspannung der Muskulatur, wodurch Betroffene in nicht funktionelle Haltungen gezwungen werden. Außerdem verlieren betroffene Muskeln Kraft und Ausdauer. Eine Spastik kann vorübergehend sein, aber auch langfristig bestehen und Schmerzen verursachen. Ein weiteres motorisches Symptom ist die Ataxie, bei der die Bewegungskoordination gestört ist. Bei Multipler Sklerose betrifft dies besonders das Stehen oder Gehen, kann sich aber auch an den Armen und Händen äußern. Betroffene zittern dann bspw., wenn sie zu einem Glas greifen wollen. Es kann durch Multiple Sklerose außerdem noch zu Schluck- und Sprechstörungen sowie einer gestörten Augenmotorik kommen.

Die eben erwähnten Schmerzen sind aber nicht auf die Spastik beschränkt, sondern können bei Multipler Sklerose auch einen anderen Ursprung haben. Oft ereignet sich ein neuropathischer Schmerz, der eine direkte Folge der Erkrankung selbst darstellt, da er sich aufgrund geschädigter oder zerstörter Nervenzellen ereignet. In diesem Zusammenhang kommt es Berichten von Patienten zufolge oft zu Kopfschmerzen, Missempfindungen und sogenannte Neuralgien, also Nervenschmerzen.

Auswirkungen der Multiplen Sklerose auf Blase, Darm und Sexualität

Durch die Erkrankung können sich sowohl Blasen– als auch Darmstörungen ergeben. Probleme mit der Blase äußern sich vor allem in einer Inkontinenz, einem Harnverhalt und Drangsymptomen. Anschließend ist das Risiko für Harnwegsinfekte, bspw. eine Blasenentzündung, erhöht. Der Darm macht sich indes vor allem durch Verstopfung oder Stuhlinkontinenz bemerkbar.

Letztlich kann von Multipler Sklerose auch die Sexualität betroffen sein. Dies kann im Zusammenhang mit der Erkrankung auf Nervenschäden zurückgeführt werden und sich bspw. in einer erektilen Dysfunktion beim Mann oder einer verminderten Scheidenbefeuchtung bei der Frau äußern. Allerdings spielen auch die Aspekte Depression und Angst eine große Rolle bei der sexuellen Einschränkung. So kann es in einer Partnerschaft bspw. dazu kommen, dass sich der oder die von Multiple Sklerose Betroffene aufgrund der Erkrankung irgendwann einfach nicht mehr gleichwertig fühlt und die Beschwerden, die bei MS starken Schwankungen unterliegen, es ihm oder ihr noch schwerer machen, zu erklären, was vor sich geht.

Wie verläuft die Multiple Sklerose?

Generell unterscheiden sich die Beschwerden bei Multipler Sklerose aufgrund der Art der Erkrankung. Die Schädigungen am Nervensystem sind eben multipel und können verschiedene Orte betreffen, sodass sich immer ein individuelles Krankheitsbild ergibt, auch was den Schweregrad der Symptome angeht. Allerdings lässt sich sagen, dass die Rückbildungswahrscheinlichkeit der Symptome sinkt, wenn sie länger als 6 Monate bestehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies sogar auch, dass weitere mit der Erkrankung in Verbindung stehenden Symptome wahrscheinlicher werden, je länger die Krankheit besteht.

Studien haben gezeigt, dass vor allem die motorischen Einschränkungen zunehmen. Es kommt im Verlauf häufiger zu Spastiken, Störungen der Bewegungskoordination, Zittern sowie Funktionsstörungen von Blase und Darm. Außerdem verschlechtern sich mit dem Verlauf der Erkrankung auch stetig die bleibenden Einschränkungen. Nur etwa die Hälfte aller Patienten ist nach einem Zeitraum von etwas mehr als 12 Jahren noch uneingeschränkt gehfähig. Neuropsychologische Beschwerden nehmen zwar ebenfalls zu, allerdings hängt deren Fortschreiten weniger mit der fortschreitenden Krankheitsdauer zusammen.

Leider führen die durch Multiple Sklerose verursachten körperlichen Einschränkungen zunehmend auch zu eingeschränkter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit, Frühberentung oder gar Arbeitslosigkeit. Dies ist für vor allem junge Patienten schwierig, da diese zum Zeitpunkt der Erkrankung eigentlich in einer beruflichen Findungsphase stecken.

Gut zu wissen!

Datensätze der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft belegen, dass nur 27,9 Prozent der darin registrierten Patienten berufstätig sind. 39,4 beziehen bereits Rentenleistungen, 6 Prozent sind arbeitslos.

Allgemein lässt sich festhalten, dass sich ein individueller Krankheitsverlauf bei Multipler Sklerose zu Krankheitsbeginn nicht vorhersagen lässt. Es existieren aber einige Faktoren, die den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen können. Diese können Sie der nachfolgenden Tabelle entnehmen.

Faktor für günstigen VerlaufFaktor für ungünstigen Verlauf
zu Beginn nur ein Symptom (bspw. Entzündung des Sehnervs)zu Beginn mehrere Symptome
nur gestörte Sensibilität (also bspw. Taubheitsgefühl)schon früh motorische Symptome und solche, die mit dem Kleinhirn in Verbindung stehen (bspw. gestörte Bewegungskoordination)
Schübe dauern nur kurz anSchübe dauern lange an
Schübe bilden sich gut zurückSchübe bilden sich schlecht zurück
Erkrankungsbeginn vor dem 35. LebensjahrErkrankungsbeginn nach dem 50. Lebensjahr
unauffälliges MRT am Anfang der UntersuchungMRT zeigt schon zu Erkrankungsbeginn viele Schäden am zentralen Nervensystem
normale SEP und MEP (das sind durch äußere Reize ausgelöste Potenziale, mit denen man neurologische Störungen untersucht) Bereits krankhaft veränderte SEP und MEP

Wer ist am ehesten betroffen?

Multiple Sklerose ist die häufigste chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems bei jungen Erwachsenen. Die genauen Zahlen variieren je nach verwendeter Literatur. Deutschlandweit sind auf 100.000 Einwohner etwa 150 Personen von der Erkrankung betroffen. Das ergibt etwa 120.000 in Deutschland Betroffene.

Weltweit sind ungefähr 2,5 Millionen Menschen an Multipler Sklerose erkrankt. Am häufigsten betroffen sind Menschen, die in gemäßigten Breiten leben, besonders Europäer und deren Nachfahren. Die meisten Menschen mit Multipler Sklerose leben in Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland.

In einem Großteil der Fälle wird die Erkrankung um das 30. Lebensjahr diagnostiziert, selten aber auch im Kindesalter oder nach dem 55. Lebensjahr. Ungefähr 3–5 Prozent aller Erkrankungen fällt auf Unter-16-Jährige.

Frauen sind 2–3 Mal so häufig betroffen wie Männer und ihre Zahl hat auch in den letzten Jahren weiter zugenommen.

Sind Sie oder eine Ihnen bekannte Person an Multipler Sklerose erkrankt? Mit welchen Frühsymptomen hat sich die Krankheit anfangs bemerkbar gemacht? (Mehrfachnennungen möglich) Mit Ihrer Teilnahme an dieser Umfrage helfen Sie anderen Lesern, ihre Symptome besser einschätzen zu können und geben uns wertvolles Feedback für die weitere Gestaltung unseres Informationsangebots.

Was tut der Arzt? Teil 1: Die Diagnose von Multipler Sklerose

Die Diagnose der Multiplen Sklerose umfasst viele unterschiedliche Schritte, denn es ist wichtig für das weitere Vorgehen, die Erkrankung sowohl schnell als auch sicher zu erkennen, sie also von anderen Erkrankungen abzugrenzen. Dazu werden viele verschiedene Untersuchungsverfahren eingesetzt.

Am Anfang beinahe jeder Diagnose steht das sogenannte Anamnesegespräch, das Gespräch zwischen Arzt und Patient. Darin werden vor allem mit der Erkrankung in Verbindung stehende Symptome erfragt. Genauer werden dabei Beschwerden erfragt, die den Patienten zum Arztbesuch veranlasst haben und jene, die vielleicht bisher nicht offensichtlich waren, aber auf eine Multiple Sklerose hindeuten. Der Arzt wird bspw. fragen:

  • Hatten Sie ein Taubheitsgefühl in Armen und Beinen?
  • Haben Sie irgendwelche Probleme mit Ihren Muskeln festgestellt?
  • Können Sie sich teilweise vielleicht nicht richtig bewegen?
  • Haben Sie Probleme mit dem Sehen?
  • Kam es bei Ihnen zu Lähmungserscheinungen und steifen Armen und/oder Beinen?
  • Haben Sie Schmerzen?
  • Wie steht es um Ihre Verdauung und Ihre Blasenentleerung?
  • Sind Sie sexuell eingeschränkt?
  • Hatten Sie schon einmal solche Ausfälle? Wenn ja: Wann?
  • Haben Sie oder jemand in Ihrer Familie eine Autoimmunerkrankung?

Außerdem wird sich der Arzt noch nach dem schubweisen Verlauf erkundigen. Denn ebendieser ist charakteristisch für Multiple Sklerose und daher wichtig, um die Erkrankung sicher zu diagnostizieren. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie definiert einen solchen Schub grob als erneutes Auftreten bereits aufgetretener Ausfälle oder Beschwerden, das mindestens 24 Stunden anhält, mehr als 30 Tage nach dem letzten Schub eintritt und nicht durch eine veränderte Körpertemperatur oder Infektionen zu erklären ist. Demgegenüber stehen nämlich sogenannte paroxysmale Episoden, die nur Minuten oder gar Sekunden andauern und demnach nicht in die Definition eines Schubs fallen.

Den Grad der Behinderung feststellen

Wenn die Befragung am Ende den Verdacht auf eine Multiple Sklerose fallen lässt, wird der Arzt eine klinisch-neurologische Untersuchung durchführen. Dabei wird die Funktionalität von Gehirn, Muskeln und Nerven überprüft – so kann der Arzt nämlich Ausfälle des Nervensystems überprüfen. Dazu untersucht er die Reflexe, die Fortbewegung, die Koordination, das Sprachvermögen, das Bewusstsein, die Sensibilität, die Psyche und die Funktion der Gehirnnerven. Außerdem erfolgt auch die Bestimmung der Sehschärfe. Und wie erhebt der Arzt all diese wichtigen Informationen? Dazu stehen ihm zwei wesentliche Methoden zur Verfügung.

Die erste ist der sogenannte Expanded Disability Status Scale (kurz: EDSS). Dabei handelt es sich um eine Rangskale, mit deren Hilfe sich das Ausmaß der Behinderung von Multiple-Sklerose-Patienten bestimmen lässt. Die EDSS ist unterteilt in verschiedene funktionelle Systeme in unserem Körper, u. a. finden sich dort das Kleinhirn, der Hirnstamm oder auch die Sehfunktion. Wenn Betroffene nun bspw. zittern oder in ihrer Bewegungskoordination gestört sind, ist das funktionelle System Kleinhirn von Bedeutung, bei Sprachstörungen wäre es der Hirnstamm.

Im Rahmen der Untersuchung teilt der Arzt seine Ergebnisse also dem jeweiligen System zu. Pro System kann er dann eine Bewertung von 0–5 bzw. 6 vornehmen, wobei 0 für eine normale Funktion und der höchste Wert für einen vollständigen Funktionsverlust im jeweiligen Bereich stehen. Außerdem wichtig für die EDSS ist die Gehstrecke, die Patienten zurückzulegen in der Lage sind (inkl. ein- oder beidseitige Gehhilfe). Aus den so ermittelten Punkten leitet sich am Ende dann der sogenannte EDSS-Gesamtscore ab. Dieser kann zwischen 0,0 und 10,0 liegen und steigt in 0,5er-Schritten. Ein Wert von 0 steht dabei für keine Auffälligkeiten, ein Wert von 5 für eine Gehfähigkeit von 200 Metern ohne Hilfe und Pause bei durch Behinderung erschwerter ganztägiger Arbeit und ein Wert von 10 für Tod infolge von Multipler Sklerose.

Laufen, Stecken, Rechnen

Ein weiterer Test zur Erfassung des Behinderungs-Ausmaßes ist der sogenannte Multiple Sclerosis Functional Composite (kurz: MSFC). Dieser setzt sich aus drei Einzeltests zusammen, mit denen sich die Funktionalität von Armen, Beinen und Kognition beurteilen lässt.

Der erste dieser Tests ist der Timed 25-Foot Walk. Patienten legen zwei Mal eine Strecke von 7,6 Metern zurück, wobei aus den beiden Gehversuchen der Mittelwert der Laufgeschwindigkeit abgeleitet wird.

Der zweite Test ist der 9-Hole Peg Test. Hiermit wird die Feinmotorik bestimmt. Die Patienten müssen 9 Bleistifte in ein Steckbrett stecken und sie anschließend wieder herausziehen, und zwar zwei Mal pro Hand. Es wird die dafür benötigte Zeit gemessen. Aus den insgesamt 4 Durchläufen wird dann auch hier wieder ein Mittelwert abgeleitet.

Test Nummer drei ist der PACED Auditory Serial Addition Test, mithilfe wessen sich kognitive Einschränkungen bestimmen lassen. Patienten bekommen in Abständen von 3 Sekunden eine Zahl genannt, die sie dann zur vorherigen Zahl addieren müssen. Der gesamte Test wird mit 61 Zahlen durchgeführt. Hier hängt die Bewertung von der Anzahl der richtigen Antworten ab.

Aus den Ergebnissen lässt sich dann letzten Endes der MSFC-Gesamtscore ableiten. Dieser wird auch während der Behandlung öfter erhoben, denn an ihm kann auch der Krankheitsverlauf inklusive Verbesserungen oder Verschlechterungen abgelesen werden.

Bildgebung sehr wichtig

Die Magnetresonanztomografie (kurz: MRT) ist ein bildgebendes Verfahren, das bei der Diagnose von Multipler Sklerose unerlässlich ist. Denn mit ihr lassen sich Veränderungen am Gehirn und am Rückenmark sichtbar machen. Auf diese Weise können Veränderungen, die für Multiple Sklerose typisch sind, schon früh erkannt werden. Mit der MRT erstellt der Arzt bzw. der Radiologe Schnittbilder von Gehirn und Rückenmark, wodurch entzündetes und vernarbtes Gewebe erkennbar wird. Die McDonald-Kriterien, die von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Diagnose von Multipler Sklerose empfohlen werden, betonen insbesondere die Bedeutung der Magnetresonanztomografie.

Gut zu wissen!

Da die MRT zunehmend häufiger genutzt wird, kommt es auch häufiger zu Zufallsbefunden, bei denen sich zwar Veränderungen wie bei Multipler Sklerose zeigen. Allerdings leiden die Untersuchten nicht an den für die Erkrankung typischen Symptomen. Man ordnet diese Patienten in der Regel dann dem sogenannten radiologisch isoliertem Syndrom zu.

Leitgeschwindigkeit der Nervenbahnen

Eine weitere Untersuchungsmethode besteht darin, die Leitgeschwindigkeit der Nervenbahnen zu untersuchen, und zwar mittels sogenannter evozierter Potenziale. Diese Untersuchungen sollen Verletzungen am Nervensystem aufdecken, die durch die vorherigen Untersuchungen verborgen blieben. Die Methode gibt Aufschluss über das Ausmaß des Abbaus der Myelinschicht um die Nervenfasern. Und wie geht der Arzt dabei vor?

Sinnesorgane wie das Auge oder das Ohr oder Nerven werden durch einen Reiz von außen stimuliert. Dies löst in der Regel ein Signal in der Großhirnrinde aus. Dieses Signal lässt sich mit der sogenannten Elektroenzephalographie messen. Bei Multiple-Sklerose-Patienten ist die Antwort auf den Reiz aber möglicherweise verzögert, sodass man von Schädigungen des entsprechenden Bereichs ausgehen kann. Im Rahmen dieser Untersuchungen werden verschiedene evozierte Potenziale verwendet. Die größte Bedeutung haben die visuellen und die somatosensorischen (bspw. elektrische Stimulation der Nerven in den Extremitäten). Ebenso berücksichtigt werden aber motorische und akustische Potenziale. Denn auch wenn diese nicht so eine große Bedeutung wie die beiden zuerst genannten haben, können sie Hinweise auf krankhafte Prozesse geben.

Untersuchungen im Labor

Letztlich gesichert wird die Diagnose der Multiplen Sklerose dann noch durch Laboruntersuchungen. Denn in unseren Körperflüssigkeiten finden sich verschiedene sogenannte Biomarker, die Aufschluss über Prozesse in unserem Körper geben und auch bei der Beurteilung des weiteren Krankheitsverlaufs herangezogen werden können.

Bei Verdacht auf Multiple Sklerose kommt vor allem dem Liquor cerebrospinalis besondere Bedeutung zu. Hierbei handelt es sich auf Deutsch um die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit. Diese wird entnommen, da fast alle sicheren Multiple-Sklerose-Diagnosen Veränderungen im Liquor aufwiesen. Im Liquor selbst werden verschiedene Aspekte untersucht, bspw. die Anzahl weißer Blutkörperchen, die Produktion von Immunglobulinen, die Albumin-Konzentration (Albumin wird in der Leber produziert und findet sich normalerweise im Blut, nicht aber im Liquor).

Um den Liquor zu untersuchen, muss dieser aber zunächst entnommen werden. Dies geschieht im Rahmen einer sogenannten Lumbalpunktion, bei der eine Hohlnadel zwischen Lendenwirbel und Kreuzbein in den Lumbalkanal eingeführt wird. Mit dieser lässt sich dann Liquor entnehmen.

Das Auge untersuchen

Es kann auch noch notwendig werden, dass die Netzhaut des Auges untersucht wird, und zwar mit einer sogenannten optischen Kohärenztomografie. Dabei wird die Netzhaut in verschiedenen Schichten mit Infrarotlicht abgetastet, von denen es unterschiedlich reflektiert wird. Daraus lässt sich dann ein Bild der Netzhautschichten berechnen, anhand dessen man den Zustand der Nervenzellen der Netzhaut ablesen kann. Diese Untersuchung gibt Hinweise auf das Vorliegen einer Multiplen Sklerose, da mehrere Studien nachweisen konnten, dass Multiple-Sklerose-Patienten eine dünnere Nervenfaserschicht in der Netzhaut haben.

Weiterhin können auch das Blut oder der Urin im Labor untersucht werden. Dies würde aber vor allem dazu dienen, andere Erkrankungen auszuschließen, wenn die Diagnose Multiple Sklerose noch nicht sicher ist.

Fakten-Box

Multiple Sklerose

  • chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems
  • 2,5 Millionen Erkrankte weltweit
  • vorwiegend in Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland
  • Deutschland: etwa 120.000 Menschen
  • Erkrankung ereignet sich erstmalig größtenteils um das 30. Lebensjahr herum
  • Frauen sind häufiger betroffen als Männer

Mögliche Frühsymptome

  • Entzündung des Sehnervs
  • Sehstörungen (Doppeltsehen)
  • Augenschmerzen
  • Missempfindungen
  • Taubheitsgefühl
  • Schmerzen in Armen und/oder Beinen
  • Gangstörungen
  • Schwächegefühl
  • Müdigkeit
  • Lähmungserscheinungen

Was tut der Arzt? Teil 2: Die Behandlung von Multipler Sklerose

Vorneweg sollte klar gemacht werden: Multiple Sklerose ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht heilbar. Die Therapieziele bestehen also vor allem darin, die Symptome zur Rückbildung zu bewegen, die Häufigkeit der Schübe zu reduzieren, die Krankheitsaktivität zu verringern, das Fortschreiten der Erkrankung zu verzögern und letztlich auch die Beschwerden, die sie verursacht, zu behandeln. Um diese Ziele zu erreichen, kommen grundlegend drei Verfahren zum Einsatz, nämlich eine Schubtherapie, eine verlaufsmodifizierende Therapie und eine symptomatische Therapie.

Die Schubtherapie

Das erklärte Ziel der Schubtherapie ist die Rückbildung der durch Multiple Sklerose hervorgerufenen Symptome. Je nach deren Schwere und nach Verlaufsform der Erkrankung kommen dabei unterschiedliche Dosierungen sogenannter Glucocorticoide zum Einsatz, bspw. Kortison oder Prednisolon.

Wenn Patienten auch nach erhöhter Dosis und weiteren Gaben nicht auf diese Form der Therapie ansprechen oder sie gar keine Glucocorticoide bekommen dürfen, kann eine sogenannte Plasmapharese stattfinden. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem krankheitserregende Bestandteile aus dem Blut entfernt werden. Dazu wird Blut entnommen, das dann in Plasma und Restblut getrennt wird. Der Patient erhält dann das Restblut zurück und bekommt dann noch ein Plasmakonzentrat.

Möglicherweise kommen auch noch sogenannte Protonenpumpenhemmer, vielleicht besser bekannt als Magensäureblocker, wie Omeprazol oder Pantoprazol zum Einsatz. Mithilfe dieser lässt sich Magengeschwüren vorbeugen.

Verlaufsmodifizierende Therapie

Bei dieser Behandlungsform bestehen die erklärten Ziele darin, die Häufigkeit der Schübe zu reduzieren, die Krankheitsaktivität zu verringern und das Fortschreiten der Erkrankung bestmöglich zu verzögern. Wie genau sich die verlaufsmodifizierende Therapie gestaltet, besprechen Arzt und Patient zu Behandlungsbeginn gemeinsam. Während der Behandlung muss diese Therapieform auch fortlaufend angepasst werden, und zwar je nachdem, wie viel die Behandlung letztlich nützt oder eher schadet.

Die entsprechende Therapie hängt ebenso von der Verlaufsform und der Aktivität der Erkrankung sowie diversen Patientenfaktoren wie bspw. bestehenden Begleiterkrankungen, Familienplanung und zu erwartenden Komplikationen ab. Festzuhalten ist aber, dass in jedem Fall medikamentös behandelt wird. Der entsprechende Wirkstoff hängt dann aber von der Verlaufsform und der Aktivität ab. Je nachdem, welcher Wirkstoff sich als geeignet erweist, wird dieser entweder unter die Haut, in die Vene oder in den Muskel gespritzt. Es gibt aber auch Medikamente, die oral eingenommen werden können. Gegebenenfalls wird der Arzt bei der Therapie-Entscheidung sogar die vom Patienten gewünschte Art der Einnahme berücksichtigen, da gezeigt werden konnte, dass Patienten dann eher adhärent sind. Das heißt sozusagen, dass sie der Therapie treu bleiben, sie fortführen.

Symptomatische Therapie bei Multipler Sklerose

Hier besteht das Ziel vor allem darin, die durch die Erkrankung verursachten sowohl körperlichen als auch geistigen Einschränkungen zu lindern und weitere dadurch mögliche Komplikationen zu vermeiden. Diese Therapieform richtet sich natürlich nach den entsprechenden Beschwerden des einzelnen Patienten. Grundsätzlich gilt aber, dass Arzt und Patient hier gemeinsam eine strukturierte multimodale Rehabilitation verfolgen sollten. Damit ist gemeint, dass Behandlungsansätze aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen und kombiniert Anwendung finden.

Die durch Multiple Sklerose verursachte Spastik kann bspw. mithilfe regelmäßiger Physiotherapie angegangen werden. Wenn die Patienten auf diese nicht ausreichend ansprechen, können dann auch noch Medikamente wie Baclofen oder Tizanidin zum Einsatz kommen.

Wenn Patienten durch die Erkrankung in ihrer Gehfähigkeit eingeschränkt sind, ist möglicherweise die Gabe des Medikaments Fampridin wirksam. Durch diesen Wirkstoff sollen Signale im Körper besser weitergeleitet werden. Tatsächlich profitieren aber nur etwa 30 Prozent aller Multiple-Sklerose-Patienten in ausreichendem Maße von dem Wirkstoff. Bei dem Rest hat sich die mögliche Gehstrecke nach zwei Wochen nicht um 20 Prozent oder mehr gebessert.

Der Müdigkeit bei Multipler Sklerose kann mit Ausdauer- sowie Widerstandstraining entgegengewirkt werden. Bisher ist die Datenlage für eine medikamentöse Behandlung in diesem Zusammenhang noch nicht ausreichend, möglich ist aber die Gabe von Modafinil. Dabei handelt es sich um eine Substanz zur geistigen Leistungssteigerung.

Die durch die Erkrankung möglichen Blasenstörungen können mit verschiedenen Ansätzen angegangen werden. An erster Stelle steht eine Verhaltenstherapie, bei der Betroffen dazu angehalten sind, Tagebuch über ihre Trinkmenge sowie die Menge und Häufigkeit ihres Wasserlassens zu führen. Außerdem können ein Beckenbodentraining oder ein sogenanntes EMG-Biofeedback, bei dem man Kontrolle über ansonsten unbewusst ablaufende Körpervorgänge gewinnt, weiterhelfen. Auch eine Blasenstörung kann ggf. medikamentös behandelt werden, nämlich mit sogenannten Anticholinergika.

Bei sexuellen Funktionsstörungen empfiehlt sich eine kognitive Verhaltenstherapie. Speziell für Männer gibt es Medikamente wie Sildefanil bei erektiler Dysfunktion, Frauen müssen bei gestörter Scheidenbefeuchtung auf Gleitmittel zurückgreifen.

Symptomatische Therapie zusammengefasst

Die beschwerdeorientierte Behandlung der Multiplen Sklerose setzt sich je nach Beschwerde aus unterschiedlichen Ansätzen zusammen. Grob zusammengefasst sind dies die Physiotherapie, medikamentöse Ansätze, Ergotherapie, Ausdauertraining, Psychotherapie und nicht zu vergessen die Versorgung mit Hilfsmitteln. Auch die Logopädie spielt eine Rolle, wenn sich nämlich durch die Erkrankung Sprachstörungen ergeben haben.

„Frühzeitig entdeckt, ergeben sich bei der Multiplen Sklerose gute Behandlungsmöglichkeiten. Behinderungen im weiteren Verlauf sind aber fast nie zu vermeiden.“ — Dr. Dr. Tobias Weigl Klick um zu Tweeten

Wie sind die Aussichten für Patienten mit Multipler Sklerose?

Grundsätzlich ist der Verlauf der Erkrankung nicht pauschal vorherzusagen. Es gibt aber einige Faktoren, die Verlauf positiv beeinflussen. Das ist z. B. der Fall, wenn sich die Erkrankung zum ersten Mal vor dem 35. Lebensjahr bemerkbar macht, es zu Beginn nur zu einem Symptom kam und sich Betroffene gut von ihrem ersten Schub erholt haben. Ungünstig hingegen sind schon zu Erkrankungsbeginn häufige Schübe sowie ein fortschreitender Verlauf.

Das Thema Behinderung ist bei Multiple-Sklerose-Patienten aber beinahe unausweichlich. Nach 15 Jahren mit der Krankheit nutzt etwa die Hälfte der Betroffenen eine Gehhilfe. Nach 25 Jahren ist ungefähr ein Drittel überhaupt nicht mehr gehfähig, die anderen zwei Drittel können nicht mehr arbeiten. Nur 10 Prozent aller Betroffen haben nach 25 Jahren keine oder eine nur geringe Behinderung.

Die Lebenserwartung von Menschen mit Multipler Sklerose ist im Schnitt um 6–7 Jahre verkürzt.

Aktuelles aus der Forschung – Läsionen mit Randsaum begünstigen aggressives Fortschreiten der Multiplen Sklerose

Schon 2014 wurden besondere Läsionen im Gehirn von Multiple-Sklerose-Patienten ausgemacht, die sogenannten Hirnläsionen mit Randsaum (eng. rim). Man vermutete, was jetzt durch Forscher um Daniel Reich vom National Institute for Neurological Disorders and Stroke bestätigt wurde: Diese Art Läsionen kann als Indikator für einen ungünstigen Verhandlungsverlauf betrachtet werden.

Für ihre Untersuchungen haben Daniel Reich und seine Kollegen drei Studien veranlasst. In Studie 1 verglichen die Forscher MRT-Aufnahmen der Patienten mit ebendiesen Veränderungen. Dabei ist aufgefallen, dass bei Patienten mit mehr als vier Läsionen mit Randsaum ein 1,6 Mal höheres Risiko für einen fortschreitenden Verlauf der Multiplen Sklerose bestand als bei Patienten ohne diese Art Läsion. Das Risiko für Patienten in einem Alter von unter 50 Jahren war sogar 3,2 Mal so hoch. In diesem Zusammenhang auffällig: Patienten mit mehr derartigen Läsionen entwickelten schneller körperliche und geistige Behinderungen mit „normalen“ Läsionen.

Studie 2 & 3 – Mehr Beweise für den Zusammenhang

In Studie 2 wurden die Entwicklungen der ausgemachten Läsionen über die Zeit verfolgt. Dazu haben die Forscher MRT-Aufnahmen von Patienten verwendet, die schon länger regelmäßig derartige Aufnahmen anfertigen lassen mussten. Das Ergebnis: Die Läsionen mit Randsaum haben sich über die Zeit vergrößert, andere „normale“ Läsionen sind im Behandlungsverlauf zurückgegangen.

Letztlich haben die Forscher in Studie 3 noch den Körper eines Patienten untersucht, der an Multipler Sklerose gestorben war. Sie konnten feststellen, dass sich die Läsionen mit Randsaum in den letzten Jahren vergrößert hatten und allesamt einen Kern aufwiesen, der keine Myelinscheide mehr besaß. Die Nervenfasern darin waren abgestorben. Außerdem fanden sich Phagozyten, die mit Eisen beladen waren. Das sind weiße Blutkörperchen, deren Aufgabe der Abtransport von Fremdstoffen ist. Ihre Anwesenheit deutet auf schwere Schäden der betroffenen Region hin.

Die hier besprochenen umrandeten Läsionen reagieren scheinbar nicht auf Medikamente. Jetzt, da sie mittels MRT nachweisbar sind, könne man, so die Forscher, sich auf diese Erkenntnisse stützen und darauf basierend nach besseren Medikamenten suchen.

Quelle: Daniel S. Reich u. a. (2019) : Association of Chronic Active Multiple Sclerosis Lesions With Disability In Vivo. In: JAMA Neurology, 12. August 2019.

Häufige Patientenfragen

Kann man Multiple Sklerose heilen?

Bisher gibt es keine Therapie, die eine Heilung von Multipler Sklerose verspricht. Daher sind die Behandlungsformen auch anders ausgerichtet. Im Vordergrund stehen daher auch Aspekte wie die Rückbildung der Symptome, eine Reduktion der Schubfrequenz, einer verringerte Krankheitsaktivität, das Verzögern des Fortschreitens der Erkrankung sowie natürliche eine Behandlung der Beschwerden.

Kann ich als Multiple-Sklerose-Patientin Kinder bekommen?

Ja, das ist immer noch möglich. Tatsächlich beeinflusst die Erkrankung die Schwangerschaft oder die Geburt erwiesenermaßen kaum, im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel schützt sie sogar vor den typischen Schüben. Sie müssen allerdings damit rechnen, dass sich Schübe bei Ihnen nach der Geburt häufen können. Ich empfehle Ihnen, dass Sie wenn möglich vor der Schwangerschaft mit Ihrem Neurologen sprechen, damit er mit Ihnen zusammen Risiken erörtern kann, auch in Bezug auf die geringe erbliche Komponente der Erkrankung.

Kann ich mit Multipler Sklerose Sport machen?

Sie können nicht nur, Sie sollten sogar – zumindest in einem für Sie angenehmen Maß. Denn viele Aspekte, die durch die Erkrankung eingeschränkt werden, lassen sich durch Sport verbessern, bspw. das Körpergefühl, die Lebensqualität oder aber auch kognitive Funktionen. Sie sollten mit Ihrem behandelnden Arzt über geeignete Sportarten sprechen. Lassen Sie sich übrigens nicht davon beunruhigen, dass Ihre Beschwerden sich durch Sport kurzzeitig verschlechtern können – dies hat keinen Einfluss auf die eigentliche Erkrankung.

Kann ich mich trotz Multipler Sklerose impfen lassen?

Grundsätzlich sollten Sie dabei keine Bedenken haben. Beobachtungen haben ergeben, dass sich keine Unterschiede im Verlauf der Erkrankung ergeben, wenn Multiple-Sklerose-Patienten geimpft waren oder nicht. Allerdings können die Impfungen das Immunsystem modulieren – es kann also nicht völlig ausgeschlossen werden, dass sich ein Schub ereignet, wenn Sie geimpft werden. Studien konnten dies aber bisher nicht belegen. Aber trotz dieser potenziellen und – nicht nachgewiesenen – Gefahr sollten Sie sich impfen lassen. Denn was wir wissen, ist: Infektionen mit Viren sind nachweislich Auslöser für Schübe bei Multipler Sklerose.

Welchen Einfluss hat Multiple Sklerose auf die Sexualität?

Die Krankheit kann Ihre Sexualität auf zwei Arten beeinflussen. Zum einen kann sie durch die Nervenschäden zu Funktionsstörungen führen. Männer haben dann möglicherweise Probleme damit, eine Erektion zu kriegen und Frauen könnten darunter leiden, dass ihre Scheidenbefeuchtung vermindert ist. Zum anderen können sich natürlich auch andere durch die Erkrankung hervorgerufene Beschwerden wie AngstAngstAngst und Depression negativ auf Ihre Sexualität auswirken.

Typisches Patientenbeispiel

Lässig betrachtet sich Emil im Spiegel, nachdem er heute beim Bankdrücken seinen Rekord gebrochen hat. ‚Stattlich‘, denkt er sich und begutachtet die Brustmuskulatur, die er über die vergangenen 7 Monate aufgebaut hat. Ihm fällt aber noch etwas auf, das er so gar nicht in Ordnung findet. Er sieht doppelt. Das rechte Auge will nicht mehr so richtig auf scharf stellen und auch Reiben und kräftiges Zwinkern helfen nicht. „Guck mal, hab ich da was im Auge?“, fragt Emil seinen Trainingspartner Florentin und zieht schon die Lider auseinander. „Ne, ich sehe da nix. Wird schon nix sein. Stell dich nicht so an!“

Zuhause muss Emil feststellen, dass sich das mit dem Auge nicht ändert und so langsam macht er sich Sorgen. Was, wenn es eine Entzündung oder so ist? Auf Blindsein hat er ja so gar keinen Bock.

Am nächsten Morgen macht sich Emil auf den Weg zum Augenarzt. Das Auge hat sich nicht verbessert. Komischerweise fragt ihn der Arzt auch noch nach Sachen, für die er normalerweise nicht zu diesem Spezialisten gegangen wäre. ‚Sind Sie oft müde? Haben Sie Taubheitsgefühle am Körper?‘ Da der Arzt keine Ursache ausmachen konnte, es sich aber scheinbar um eine Entzündung des Sehnervs handelt, überweist er Emil an einen Neurologen. Das könnte auf Multiple Sklerose hindeuten.

Und tatsächlich. Etliche Tage, Tests und Minuten in der Röhre später lässt der Neurologe Emil die bittere Pille schlucken – er hat MS. Das sei aber noch gut zu behandeln, weil er nur dieses eine Symptom hat und noch relativ jung ist. Niedergeschlagen und noch nicht wirklich beruhigt macht sich Emil auf den Weg nach Hause.

Verwandte Themen

Die hier beschriebenen Punkte (Krankheit, Beschwerden, Diagnostik, Therapie, Komplikationen etc.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird genannt, was der Autor als wichtig und erwähnenswert erachtet. Ein Arztbesuch wird durch die hier genannten Informationen keinesfalls ersetzt.

 

Haben Sie Erfahrungen mit Multipler Sklerose? Möchten Sie sich bei uns weiter über diese Erkrankung des zentralen Nervensystems erkundigen? Nutzen Sie unsere Kommentarfunktion unten, um von Ihren Erfahrungen zu berichten und sich untereinander auszutauschen!

 

Autor: Dr. Dr. Tobias Weigl, Tobias Möller
Lektorat: Christopher Keck
Datum: 26.09.2019

Quellen

  • Berufsverband Deutscher Neurologen e. V. (BDN), BKJPP, BVDN, BVDP, DGPPN, SGPP, SGKJPP: Sport, Ernährung, Impfungen und Kinderwunsch bei Multipler Sklerose (MS). In: neurologen-und-psychiater-im-netz.org.
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie (2014): S2e-Leitlinie: Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose. In: awmf.org.
  • Miriam Kip u. a. (Hrsg.) (2016): Weißbuch Multiple Sklerose – Versorgungssituation in Deutschland. Springer-Verlag, Heidelberg.
  • Pschyrembel-Redaktion (2016): Multiple Sklerose (MS). In: pschyrembel.de.
  • Daniel S. Reich u. a. (2019): Association of Chronic Active Multiple Sclerosis Lesions With Disability In Vivo. In: JAMA Neurology, 12. August 2019.
  • Robert-Koch-Institut (2012): Ist es ratsam, Patienten mit Multipler Sklerose (MS) oder anderen demyelinisierenden neurologischen Erkrankungen zu impfen? In: rki.de.
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4 Antworten
  • Benjamin Goldzahn
    13.12.2019 13:15

    Ich denke, dass Erkrankungen, welche das Gehirn oder Rückenmark betreffen in den Fachbereich eines Neurologen fallen. Mein Großonkel hat sich damals öfters beim Neurologen aufgehalten, da er an MS erkankt war. Wie Sie bereits sagen, gibt es viele verschiedene Verlaufsformen von MS. Dementsprechend variieren sicherlich auch die Schwerpunkte der Therapien.

    • Petra Duering
      06.07.2020 16:18

      Die Beschreibungen sind ausführlich und verständlich.Ich bedanke mich dafür. Meine Oma kam in der DDR schon vor dem 50. Lebensjahr in ein Pflegeheim. Sie könnte das Leben zu Hause selbst in den kleinsten Tätigkeiten nicht mehr bewältigen. Dann ging es weiter abwärts. Viele Jahre lang sass sie in einem Stuhl im Zimmer.Sie war niemals ungeduldig oder auch nur unfreundlich. Erst auf dem Totenschein sahen wir die Diagnose MS.Sie hat keinerlei Behandlung bekommen und ist dann mit 72 Jahren eingeschlafen.
      Ich bin jetzt 69 Jahre alt und leide unter einer zunehmenden enormen Kraftlosigkeit. Da ich eine äusserst empfindliche Seele habe und familiäre Spannungen und Trennungen nicht im Abstand halten kann, ist es leicht mir psychosomatische Störungen und Depressionen zu attestieren.Medikamente haben geschadet.Ich glaube ,dass eine ME/CFS vorliegt, weiß aber keinen Arzt, der mir helfen kann.

  • Maria Kauschinger
    26.09.2021 12:24

    Ich habe seit 25Jahren MS.Also seit 1996.2004 hatte ich einen Schub seither nicht mehr.Anfangs machten mir meine Augen Probleme.Als erstes war ich sehr Lichtempfindlich,später konnte ich nur noch geradeaus sehen.Das einzige was mir geholfen hat war meine Therapeutin.Sie hat mir gezeigt wie Heilströmen geht.Da ich auf jedes Medikament mit allen Nebenwirkungen reagiert habe was es gibt und es mir hinterher immer sehr schlecht erging(Nierenschmerzen-starke Gehbehinderung-usw.)war ich froh um diese Alternative.Es ist ein langer Weg mit dieser Methode-war aber sehr wirksam.Schwindelanfälle-Müdigkeit-Mein Knie das nicht mehr gehalten hat-mit ständigem Hinfallen-alldas ist nach und nach verschwunden.Vor zehn Jahren ging es leider los das meine Beine nicht mehr so wollten wie ich.Trotzdem kann ich nach 25Jahren MS immer noch mit Stock oder Krücken gehen.Hatte Gott sei Dank noch nie Schmerzen und brauche keine Medikamente.

  • Marion
    12.06.2023 01:48

    Wurde erst im stolzen Alter von 46 Jahren diagnostiziert und es geht mir nach neun Jahren immer noch recht gut. An Symptomen hatte ich damals lediglich ein Gefühl, als finde die Blasenentleerung „wie im Traum“ statt (eine Art mangelnde Wahrnehmung ohne Inkontinenz), zudem Taubheit in drei Fingern einer Hand und einen tauben Vorfuß. Als ich eines Morgens beim Einseifen unter der Dusche das Areal zwischen Rippenbogen und Schambein nicht mehr spüren konnte, wies ich mich im Laufe der nachfolgenden Woche selbst in die Klinik ein mit der Verdachtsdiagnose MS, welche mittels MRT und Lumbalpunktion bestättigt wurde. Glücklicherweise wurde sofort mit scharfen Medikamenten geschossen – früher wartete mal viel zu lange tatenlos zu, was sich als Fehler erwies – und ich erhielt über 18 Monate alle vier Wochen Infusionen mit monoklonalen Antikörpern (Natalizumab), die ich sehr gut vertrug. Da bei nachgewiesenen Antikörpern gegen das JC-Virus (welche bei 85 % aller Erwachsenen nachgewiesen werden können) ein Fortsetzen der Natalizumab-Therapie das Risiko für eine PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie) samt dann unweigerlich tödlichem Ausgang deutlich erhöht hätte, entschied ich mich für eine Beendigung dieser Medikation und stieg auf orales Dimethylfumarat (Handelsname Tecfidera) um, mit dem ich ebenfalls keine Schwierigkeiten hatte. Vor wenigen Monaten habe ich alle Medikamente unter ärztlicher Anleitung abgesetzt,nehme nur noch Vitamin D (Colecalciferol) ein und muss höchstens 3-4 x im Jahr wegen Spastiken in einem Bein auf mein Cannabis-Mundspray zurückgreifen. Die gefürchtete Fatigue ist mir weitgehend erspart geblieben, die Blasenfunktionsstörung ist nicht vorangeschritten, meine Libido kam bereits in der Frühphase abhanden und wird nicht vermisst. Hitze vertrage ich allerdings erheblich schlechter als früher und bin auch nicht mehr körperlich so belastbar wie vor der Erkrankung. Dazu kommen minimale Koordinationsstörungen beim Gehen, die von außen nicht wahrnehmbar sind.

    Allen Betroffenen würde ich empfehlen, sich (zumindest in den ersten Jahren) in einem spezialisierten neurologischen Zentrum behandeln zu lassen und nicht zu verzweifeln, denn inzwischen landen nur noch vergleichsweise wenige Erkrankte zeitnah im Rollstuhl. Während meine ältere Cousine damals noch mit 29 Jahren verrentet wurde (à la MS -> Rollstuhl -> früher Tod), kann ich bis heute in Vollzeit arbeiten und alleinerziehend meine drei Kinder versorgen. Die Einstellung gegenüber der Erkrankung hat sich deutlich gewandelt und es ist durchaus möglich, ein erfülltes Leben mit MS zu führen. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, erkrankte mit knapp 34 Jahren und regiert erfolgreich ein ganzes Bundesland. Eine Tante erfuhr erst in ihren 80ern, dass der Schwindel, der sie ein Leben lang begleitet hatte, ebenfalls auf MS zurückzuführen war.

    Ich bleibe positiv und warte ab, was auf mich zukommt… – im Wissen, dass sich in den letzten Jahren viel in Sachen Therapie getan hat und ich selbst irgendwann sagen kann „Genug!“, wenn meine Selbständigkeit doch unwiederbringlich verlorengehen sollte. Die Krankheit hat mich – wie meine Krebserkrankung, die ich zusätzlich habe, auch – gelehrt, mich an kleinen Dingen in der Gegenwart zu freuen.

    „Lebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen wirst, gelebt zu haben.“ (C. F. Gellert)

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