Betroffene müssen wissen, was Sie sich unter psychosomatische Schmerzen vorstellen sollen, sonst können und werden sie in der Therapie nicht mitarbeiten und die Mitarbeit des Patienten ist unerlässlich.
— Dr. Tobias Weigl
Von Medizinern geprüft und nach besten wissenschaftlichen Standards verfasst
Dieser Text wurde gemäß medizinischer Fachliteratur, aktuellen Leitlinien und Studien erstellt und von einem Mediziner vor Veröffentlichung geprüft.
Quellen ansehenPsychosomatische Schmerzen sind Schmerzen, die durch eine seelische Belastung oder einen psychischen Konflikt ausgelöst werden. Psychosomatischer Schmerz kann auch bei der Entstehung von chronischen Schmerzen mitwirken. Psychosomatische Schmerzen werden noch immer wenig diagnostiziert, oft werden zunächst viele Disziplinen der körperlichen Medizin untersucht, bevor es zu einer Untersuchung in Richtung psychosomatischer Ursachen oder Einflüsse kommt. Bei einer psychosomatischen Anamnese gibt es einige wichtige Punkte, die erfragt werden müssen. Häufig werden die Begriffe „psychosomatisch“ bzw. „somatopsychisch“ zur Kennzeichnung von Schmerzsyndromen genutzt. Eine solche Beschreibung kann höchstens als Kürzel für die Kennzeichnung des Ergebnisses einer differenzierten Schmerzanalyse betrachtet werden – womit der Schwerpunkt oder Ausgangspunkt der Schmerzsymptomatik gekennzeichnet werden soll.
Bei der Behandlung ist unter anderem die Verhaltenstherapie wichtig. Zusätzlich gibt es einige Maßnahmen, die Sie selber ergreifen können, um psychosomatische Beschwerden zu lindern. Mehr zu psychosomatischem Schmerz, seiner Diagnostik und Therapie erfahren Sie im folgenden Artikel.
Ein Patient mit psychosomatischen Schmerzen hat also entweder
- keine nachweisbaren organischen Störungen wie Verletzungen und Entzündungen, oder
- seine Schmerzen sind deutlich stärker und/oder andauernder, als es die körperlichen Befunde erwarten lassen, oder
- aufgrund der Psyche/ Stress entwickeln sich körperliche Symptome und dadurch dann Schmerzen.
Definition von Schmerz
Die IASP (International Association for the Study of Pain) definiert Schmerz als eine unangenehme sensorische oder emotionale Erfahrung, die mit tatsächlicher oder potentieller Gewebeschädigung zusammenhängt, oder als solche beschrieben wird.
Wie entsteht Schmerz? Schmerz ist eine Sinnesempfindung, Auslöser dafür können sein:
- Mechanische Einflüsse (Druck, Verletzungen)
- Thermische Einflüsse (Hitze, Kälte)
- Chemische Einflüsse (Entzündungen, Gifte, Säuren)
Diese Einflüsse lösen Schmerzreize aus, die von Sensoren (sog. ‚Nozizeptoren‘) aufgenommen werden. Nozizeptoren sind freie Nervenendigungen und fast in jedem Gewebe des Körpers zu finden. Sie nehmen die Reize auf, die den Körper womöglich schädigen können oder wirklich schädigen. Die Schmerzreize werden registriert und über Schmerzfasern an das Gehirn weitergeleitet. Erst im Gehirn werden diese Schmerzreize zu der Sinnesempfindung Schmerz, und zwar durch die Verarbeitung im Kortex, also der Großhirnrinde.
In diesem Video erklärt Dr. Tobias Weigl den Begriff psychosomatische Schmerzen.
Gefahren der Diagnose „psychosomatische Schmerzen“:
- Häufig reagieren Patienten mit starken Schmerzen ein wenig ratlos und resigniert auf die Diagnose: „Kein Organbefund“.
- Das bedeutet, es konnte keine organische Ursache gefunden werden. Das bedeutet auch: keine Erklärung, kein Verständnis, keine Anerkennung der Erkrankung.
- Gefahr (bei den behandelnden Ärzten): Wieder eine eingebildete Kranke, wahrscheinlich depressiv, am besten geben wir (Ärzte) Psychopharmaka.
- Patienten fürchten die Unterstellung, dass sie sich ihren Schmerz lediglich einbilden.
Wichtige Punkte in Bezug auf Schmerz sind:
- Schmerz ist ein natürliches Phänomen.
- Schmerz ist die Folge von etwas, bspw. einer Verletzung, es ist also ein Symptom.
- Schmerz ist ein Warnsignal.
- Schmerz ist subjektiv! Jeder Mensch nimmt Schmerzen anders wahr, verarbeitet sie anders und geht anders mit Schmerzen um. Daher sollte man Schmerz nicht bagatellisieren.
Wissenschaftler wie Nachemson (1992) haben festgestellt, dass insbesondere das „abnorme diagnostische und therapeutische Verhalten“ der meisten Ärzte das „abnorme Krankheitsverhalten“ des Patienten verursacht. Gerade unser „modernes“ Gesundheitssystem hat großen Einfluss auf sog. „psychosomatische Schmerzen“.
Es gibt Menschen mit angeborener Schmerzunempfindlichkeit. Dabei handelt es sich um ein sehr seltenes Syndrom, welches durch eine Mutation des sog. ‚NGF-Gens‘ (Nerve Growth Factor) entsteht. Dadurch werden in der Entwicklungsphase vor der Geburt keine Nozizeptoren (also die Sensoren zur Schmerzreizwahrnehmung) gebildet, was zu der Schmerzunempfindlichkeit führt. Die Erkrankung zeigt sich bereits in den ersten Lebensjahren und ist ein echtes Handicap, da es durch die mangelnde Schmerzwahrnehmung oft zu schweren Verbrennungen und anderen Verletzungen kommt.
Man kann bei Schmerzen zwischen akuten und chronischen Schmerzen unterschieden:
Akute Schmerzen | Chronische Schmerzen |
---|---|
Sind kürzer als 12 Wochen | Sind länger als 12 Wochen |
Entstehen typischerweise bei Organ- oder Gewebeschädigungen | Haben keinen Zusammenhang mehr mit der Ursache |
Haben eine Warnfunktion, sind ein Symptom | Sind eine eigenständige Erkrankung |
- Primäre Hyperalgesie: Der Schmerz tritt in dem Bereich auf, in dem zuvor die Verletzung war.
- Sekundäre Hyperalgesie: Der Schmerz überträgt sich auf andere Areale, wie bspw. Gelenke.
- Allodynie: Man empfindet Schmerzen bei Reizen, die eigentlich nicht schmerzhaft sind, beispielsweise bei Berührung.
Chronische Schmerzen stehen bzgl. ihrer Stärke in keinem Zusammenhang mehr mit der Ursache, also der Primärverletzung. Häufig entstehen sie aus akuten Schmerzen heraus, die anfangs nicht adäquat behandelt werden. Bei chronischen Schmerzen bildet sich ein sog. ‚Schmerzgedächtnis‘: Durch den Schmerz prägt sich eine „Spur“ ins Nervensystem ein. Dadurch, dass immer wieder Schmerzreize erfolgen (entweder oft hintereinander oder von verschiedenen Stellen), prägt sich der Pfad aus.
Mehr Informationen zum Schmerzgedächtnis in diesem Video
In diesem Video geht Dr. Tobias Weigl auf chronische Schmerzen ein und erklärt, was das Schmerzgedächtnis ist und wie es entsteht.
In Deutschland gibt es 12 bis 15 Millionen chronische Schmerzpatienten. 2 Millionen davon sind so schwer betroffen, dass sie berufsunfähig sind. Die häufigsten Gründe für chronische Schmerzen sind Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen und Nackenschmerzen.
Psychosomatischer Schmerz bzw. Was sind psychosomatische Schmerzen?
Oft reagieren Patienten mit (starken) Schmerzen frustriert und resigniert auf die Diagnose: „Austherapiert“, „Kein Organbefund“ und so weiter. Diese Aussagen bedeuten, dass keine organische Ursache gefunden werden konnte. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass es keine Erklärung, kein Verständnis und oftmals keine Anerkennung der Erkrankung gibt. Gerade letzteres sind für die Betroffenen dann extrem unangenehm und eine negativ Spirale nimmt Ihren Lauf.
Für die Betroffenen ist die Erklärung „psychosomatische Störung“ ohne weitere Erklärung, ohne Verständnis was damit gemeint ist, in keinster Weise hilfreich.
Psychosomatischer Schmerz kann der Ausdruck eines seelischen Leidens sein, also der körperliche Ausdruck von beispielsweise anhaltendem hohem Stress. Der Wortbeginn „psycho-“ meint hier „der Psyche entspringend“, der Begriff ‚somatisch‘ kommt vom griechischen ‚soma‘ und bezeichnet den Körper. Bei psychosomatischem Schmerz wird demnach eine seelische Belastung oder ein psychischer Konflikt „verkörperlicht“. Dabei zeigen sich oft körperliche Beschwerden, ohne dass eine körperliche Ursache zu finden ist.
Psychosomatischer Schmerz kann auch bei der Entstehung von chronischen Schmerzen eine Rolle spielen, wenn er neben der körperlichen Schmerzentstehung zu einem Einflussfaktor wird.
Es gibt 7 Hauptlokalisationen für psychosomatische Schmerzen:
- Brust und Brustschmerzen
- Bauch und Unterleib (beispielsweise im Rahmen der Menstruation)
- Gliedmaßen (Fuß, Knie, Arm)
- Rücken bzw. Wirbelsäule
- Zähne
- Kopf (unter anderem bei Migräne)
- Nacken
Die eigenen Gefühle und Empfindungen können einen erheblichen Anteil daran nehmen, ob Rückenschmerzen, Kopfschmerzen etc. entstehen oder bestehen bleiben. Andererseits können chronische Rückenschmerzen selbst wiederum psychische Probleme nach sich ziehen.
Ursachen psychosomatischer Schmerzen
Einige psychosomatische Schmerzen können als Regulationsstörungen erklärt werden, bei denen der zeitliche Rhythmus vegetativer Funktionen in Unordnung geraten ist.
Dabei gibt es 2 wesentliche Richtungen:
1. Schmerzen aufgrund von Unbeweglichkeit bzw. Erstarrung:
- Muskelschmerzen, z.B. wenn wegen Schmerzen eine Schonhaltung eingenommen wird.
- Dabei muss der Muskeltonus nicht besonders hoch sein, schon eine geringe Anspannung genügt, wenn sie längere Zeit festgehalten wird.
- Bei funktionellen Rückenschmerzen hat man es oft mit einer Unbeweglichkeit der langen Rückenstreckermuskeln zu tun.
- Schmerzen im Bewegungsapparat, die die Beweglichkeit behindern deuten nicht selten darauf hin, dass im Leben des Betroffenen „Bewegungsspielräume“ fehlen.
2. Schmerzen als Anfall:
- Migräne zum Beispiel tritt anfallsartig oder als Attacke auf: Erbrechen, Übelkeit, Schmerzen
- Menschen mit einer Neigung zu Migräne haben ein sehr empfindliches Nervensystem und sind deshalb leichter als andere Menschen einer nervösen Reizüberflutung ausgesetzt.
- Ist eine solche Überlastung eingetreten, so reagiert der Körper mit dem Schutzreflex, das heißt, das in einem der älteren Hirnteile die Notbremse gezogen wird und der Körper selbst den Anfall herbeiführt, um weitere Überforderungen vorzubeugen.
- Im Migräneanfall muss sich der Patient von äußeren Reizeinflüssen zurückziehen, man nennt das Reizabschirmung.
- Ist der Migräneanfall vorüber, so hat der Patient eine Weile Ruhe und ist gesund.
Zur Erklärung, wie psychosomatische Erkrankungen entstehen, gibt es eine ganze Reihe weitere Modellen. Diese bieten zwar keine vollständige Erklärung des Phänomens, zeigen jedoch den Zusammenhang von Stressfaktoren und körperlichen Symptomen auf. Drei dieser Modelle werden im Folgenden vorgestellt.
Das Konversions-Modell (nach Freud)
Auslöser ist ein unbewusster Konflikt, der nicht gelöst werden kann und auf die körperliche Ebene übertragen wird. Die körperlichen Symptome treten also als Ausdruck eines psychischen Konfliktes auf, wobei direkte Rückschlüsse vom Symptom auf den zugrundeliegenden Konflikt nicht möglich sind.
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell (nach Zubin und Spring)
Dieses Modell geht davon aus, dass jeder Mensch eine individuelle Belastungsgrenze hat. Diese Vulnerabilität stellt die Empfänglichkeit eines Menschen für Stress dar. Sie wird von persönlichen Ressourcen, wie beispielsweise familiärer Unterstützung, positiv beeinflusst. Von persönlichen Risikofaktoren, wie etwa genetischen Dispositionen, wird sie jedoch negativ beeinflusst.
Sogenannte Stressoren können Stress auslösen. Stressoren können beispielsweise Erkrankungen oder belastende Ereignisse im Leben sein, sind jedoch individuell unterschiedlich und auch abhängig von den jeweiligen Ressourcen. Übersteigt der durch die Stressoren ausgelöste Stress die Belastungsschwelle, so kommt es zu körperlichen Symptomen.
Das Anforderungs-Kontroll-Modell (nach Karasek)
Dieses Modell behandelt überwiegend Belastungen, die das Arbeitsumfeld betreffen. Der Begriff des ‚Job Strain‘ beschreibt den Zusammenhang von Anforderungen an den Menschen und den Möglichkeiten, diese zu beeinflussen bzw. zu kontrollieren. Je höher also die Anforderungen und je niedriger die Möglichkeiten der Kontrolle, desto größer ist der Stress. Wer einen hohen Job Strain hat, der hat auch ein 2- bis 4-fach erhöhtes Risiko, einen Herzanfall zu erleiden.
Erkrankungen
Es gibt eine Reihe von psychischen Erkrankungen, die sich körperlich manifestieren können. Dazu zählen unter anderem:
- Affektive Störungen, wie Depressionen
- Angststörungen und Phobien
- Zwangsstörungen
- Belastungsstörungen, wie bspw. PTBS
- Neurotische Störungen, wie chronische Müdigkeit
- Dissoziative Störungen
- Essstörungen
- Persönlichkeitsstörungen
Psychosomatische Erkrankungen beschränken sich nicht auf psychosomatischen Schmerz, wie etwa bei Rückenschmerzen. Beispiele für körperliche Erkrankungen, die eine psychische Komponente haben, sind beispielsweise:
Die Haut ist das größte Organ des menschlichen Körpers und seine natürliche Schutzhülle. Hautbrennen beschreibt ein stechendes, brennendes und unangenehmes Hautgefühl. Dieses Gefühl kann sowohl mit als auch ohne sichtbare Hautreizungen auftauchen.
Hautbrennen entsteht meist dadurch, dass die Haut mit einem schädigenden Stoff in Berührung gekommen ist. Weitere Ursachen können Überempfindlichkeit (beispielsweise durch das Tragen von Kosmetika oder Pflegeprodukten) oder Allergien (beispielsweise Nahrungsmittelallergien) sein.
Hautbrennen kann auch als Begleitsymptom bei einer Reihe von Erkrankungen auftreten. Dazu gehören:
- Borreliose
- Diabetes Mellitus
- Nervenschäden
- Gürtelrose
Hautbrennen muss nicht durch körperliche Ursachen entstehen, es kann auch psychosomatisch auftreten. Stress und emotionaler Druck können also das Hautbrennen auslösen. Das kann entweder isoliert geschehen oder zusammen mit weiteren Hauterkrankungen wie beispielsweise Schuppenflechte oder Neurodermitis.
Weitere Informationen zu Hautbrennen, seinen Ursachen, Diagnostik und Therapie finden Sie in diesem Artikel.
Fakten-Box Schmerz
- entsteht durch mechanische, thermische oder chemische Einflüsse
- ist ein natürliches Phänomen
- ist immer subjektiv
- man unterscheidet zwischen akutem und chronischem Schmerz
psychosomatischer Schmerz
- kann Ausdruck eines seelischen Leidens sein, eine seelische Belastung oder ein psychischer Konflikt werden „verkörperlicht“
- kann bei der Entstehung von körperlichen Schmerzen eine Rolle spielen
- es gibt verschiedene Erklärungsmodelle (Konversions-Modell, Vulnerabilität-Stress-Modell, Anforderungs-Kontroll-Modell)
- psychische Erkrankungen, die sich psychosomatisch zeigen können, sind bspw. Depressionen, Angststörungen oder Belastungsstörungen
Mehr Informationen zu Schmerz finden Sie in diesem Video
In diesem Video beantwortet Dr. Tobias Weigl häufige Fragen zu den Themen chronischer Schmerz, Schmerzgedächtnis, psychosomatische Schmerzen und Schmerztherapie.
Was tut der Arzt? Teil 1: Die Diagnose
Um eine psychosomatische Erkrankung oder eine psychosomatische Komponente in einer Erkrankung zu erkennen, muss eine psychosomatische Anamnese erfolgen. Dabei handelt es sich um ein Gespräch zwischen Arzt und Patient, bei dem mögliche Ursachen und Signale einer psychosomatischen Erkrankung erfragt werden.
Psychosomatische Störungen werden häufig nicht diagnostiziert. Betroffene beschreiten oft einen langen Weg über verschiedene Fachärzte aus körperlichen Disziplinen der Medizin, bevor es überhaupt zu einer Erkundung möglicher psychosomatischer Komponenten kommt.
Daher ist es wichtig, dass bei jedem Patienten sowohl eine körperliche als auch eine psychosoziale Diagnostik erfolgt. Die parallele Diagnostik beider Bereiche hilft, psychosomatische Komponenten einer Erkrankung frühzeitig zu erkennen. Dadurch können unnötige körperliche Untersuchungen – wie beispielsweise operative Untersuchungen – vermieden werden.
Wichtige Punkte, die in der psychosomatischen Anamnese erfragt werden müssen, lassen sich in drei Kategorien einteilen:
Yellow Flags
Yellow Flags (also übersetzt „Gelbe Fahnen“) sind Anzeichen eines schweren psychosomatischen Krankheitsverlaufes. Dazu gehören:
- Krankheitsbilder mit zahlreichen Symptomen
- stark verminderte Funktionsfähigkeit – beispielsweise eine andauernde Arbeitsunfähigkeit
- geringe Ressourcen – wie etwa wenig Sozialkontakte
- problematische Arzt-Patienten-Beziehungen, sowohl aktuell als auch zurückliegend
Red Flags
Red Flags (also übersetzt „Rote Fahnen“) sind Warnsignale, die auf gefährliche, mitunter sogar lebensgefährliche psychosomatische Krankheitsverläufe hinweisen. Dazu gehören:
- Selbstmordgefährdung (sog. ‚Suizidalität‘)
- Schwerste körperliche Symptome, teils mit körperlichen Folgeschäden durch eine Schonhaltung
- Schwere Depression
Liegen Warnsignale der ‚red flags‘ vor, so ist es wichtig, dass sofort eingegriffen wird – beispielsweise mit einer stationären Einweisung –, um schlimme Folgen zu verhindern.
Green Flags
Green Flags (also übersetzt „Grüne Fahnen“) sind vorteilhafte Faktoren, die dem Patienten helfen können. Dazu gehören:
- Viele Ressourcen – beispielsweise ein gutes soziales Netzwerk mit sicheren Bindungen und Unterstützung
- Eine gesunde Lebensführung – beispielsweise mit ausreichendem Schlaf und Raum für Entspannung
- Aktive Bewältigungsstrategien – beispielsweise eine positive Lebenseinstellung oder sportliche Betätigungen
Wichtig ist, dass viele Patienten die psychische Komponente ihrer Erkrankung nicht bewusst wahrnehmen oder annehmen können. Daher stehen sie Andeutungen einer psychosomatischen Komponente ablehnend gegenüber und die psychosomatische Anamnese sollte daher behutsam ein- sowie durchgeführt werden.
Was tut der Arzt? Teil 2: Die Behandlung
Die Behandlung einer psychosomatischen Erkrankung kann durch die Zusammenarbeit verschiedener Fachärzte erfolgen. Dazu zählen beispielsweise Allgemeinmediziner, Psychiater, Psychosomatiker und auch Klinikärzte. Welche Form der Behandlung (also medikamentöse psychiatrische Therapie, Psychotherapie, körperliche Therapie) dabei im Vordergrund steht, hängt von der Art der Erkrankung ab – ob beispielsweise die Erkrankung rein psychosomatisch ist oder eine psychosomatische Komponente bei einer körperlichen Erkrankung vorliegt.
Bei leichten psychosomatischen Beschwerden sollte der Hausarzt die Behandlung durchführen, die erst bei einem Fortschreiten der Problematik um weitere Fachärzte ergänzt wird.
Wichtig ist hierbei vor allem, dass dem Patienten die Zusammenhänge seiner Erkrankung verständlich gemacht werden (sog. ‚Psychoedukation‘), die Ziele und Maßnahmen der Behandlung sollten gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet werden. Zudem sollte die Gesprächsführung stets behutsam erfolgen, da einer psychosomatischen Erkrankung äußerst belastende Faktoren zugrunde liegen. Des Weiteren sollten Krankschreibungen zurückhaltend genutzt werden. Ängste und Vermeidungsverhalten des Patienten sollten offen diskutiert werden, um eine Abwärtsspirale in der Erkrankung zu vermeiden. Zu empfehlen sind körperliche Aktivitäten wie Sport, da sie oft den Therapieerfolg verbessern.
Ein wichtiger Baustein, um bei einer chronischen Erkrankung eine psychosomatische Entwicklung zu erkennen und zu vermeiden, ist die Verhaltenstherapie.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten, die nicht-medikamentös sind, sind besonders bei Schmerzerkrankungen wichtig, um übertriebene Medikamenteneinnahmen – und damit auch die Gefahren einer Medikamentenabhängigkeit – zu vermeiden. Diese Maßnahmen fallen unter die Selbstinitiative, es sind also Maßnahmen, die Sie selber ergreifen können! Dazu gehören beispielsweise:
Entspannungstechniken
Entspannungstechniken helfen auf zweierlei Arten: Zum einen helfen sie dabei, den Geist zu entspannen, damit man sich nicht dauerhaft zentral nur mit dem Schmerz befasst. Zum anderen helfen sie auch, die Muskeln zu entspannen, die im Zuge einer Erkrankung mit (chronischen) Schmerzen anspannen und dadurch weiteren Schmerz verursachen. Wichtig ist, dass Sie die Technik auswählen, die für Sie die richtige ist.
Beispiele für Entspannungstechniken sind:
- Progressive Muskelentspannung (das gezielte Anspannen von Muskelpartien, um im Anschuss eine bessere Muskelentspannung zu erreichen)
- Meditation
- Yoga
- Musiktherapie
- Atemtechniken
Physikalische Maßnahmen
Das sind Maßnahmen, die auf die physische, also körperliche Ebene wirken. Beispiele dafür sind:
- Bewegung (bspw. Sport)
- Krankengymnastik
- Akupunktur
- Akupressur
- Massagetechniken
- Thermotherapie (bspw. mit Wärme)
Hypnose beschreibt sowohl einen veränderten Bewusstseinszustand als auch das Herbeiführen eines solchen. Eine medizinische Hypnose dauert zwischen 20 und 50 Minuten. Bestandteil der Hypnose ist die Suggestion, bei der es sich um ein Angebot handelt, das stark auf psychische und unwillkürliche körperliche Abläufe wirkt. Damit kann die Suggestion unter Umständen Bereiche erreichen, die dem wachen Bewusstsein des Patienten nicht zugänglich sind.In Deutschland darf rein gesetzlich jeder eine Hypnose anbieten, der sie nicht zu heilkundlichen Zwecken einsetzt. Um eine Erkrankung mit Hypnose zu behandeln, ist eine Heilerlaubnis nötig. Hypnotherapeuten sind oft auch in anderen therapeutischen Maßnahmen ausgebildet und bspw. gleichzeitig Psychotherapeuten.Medizinische Anwendungsgebiete von Hypnose sind beispielsweise:
- Reduzierung von psychischer Belastung bei medizinischen Behandlungen
- Linderung körperlicher Beschwerden
- Förderung von Heilungsvorgängen
- Verbesserung gestörter Abläufe und Körperfunktionen
Hypnose findet auch Anwendung in der psychosomatischen Medizin. Anwendungsgebiete sind beispielsweise:
- Schmerztherapie, bei chronischen Schmerzen (u. a. ausgelöst durch Tumoren)
- Psychotherapeutische Maßnahmen in der fachärztlichen Beurteilung im Auftrag der behandelnden Ärzte im Krankenhaus
- Zahnheilkunde, beispielsweise bei Angst vor dem Zahnarzt, starkem Würgereiz oder einer Spritzenphobie
Mehr Informationen zu Hypnose und Hypnotherapie finden Sie in diesem Artikel.
Häufige Patientenfragen
Was kann ich selber gegen psychosomatische Schmerzen tun?
Dr. T. Weigl:
Zentral in der Behandlung von psychosomatischen Schmerzen ist eine Verhaltenstherapie, je nach Einfluss der Psychosomatik in Kombination mit der körperlichen Behandlung der Schmerzen. Trotzdem gibt es einige Maßnahmen, die Sie selber ergreifen können. Dazu gehören Entspannungstechniken, wie beispielsweise die Progressive Muskelentspannung, Atemtechniken oder Yoga. Diese rücken den Schmerz von der zentralen Position im Bewusstsein weg und helfen dabei, mental etwas anderes als den Schmerz zu fokussieren. Zudem entspannen sie die Muskeln, die bei anhaltenden Schmerzen häufig durch Schonhaltungen zusätzlich verkrampfen und dadurch zusätzlichen Schmerz verursachen.
Ich leide seit einiger Zeit an Schmerzen, ohne dass ich wüsste, woher sie kommen. Können das psychosomatische Schmerzen sein?
Dr. T. Weigl:
Eine psychosomatische Erkrankung oder eine psychosomatische Komponente ist bei Schmerzen prinzipiell durchaus möglich. Allerdings gibt es auch viele Ursachen für Schmerz, die von außen schwer zu erkennen sind. Es ist also ratsam, zunächst einen Arzt zu Rate zu ziehen, ohne sich bereits im Vorfeld auf eine Diagnose zu versteifen. Im Idealfall sollte die psychosomatische Diagnostik parallel zur körperlichen Diagnostik erfolgen und etwaige psychosomatische Anteile oder Erkrankungen zu Tage bringen.
Ich habe oft das Gefühl, dass ich Schmerzen habe, die durch Anspannung entstehen. Dabei bin ich dann oft gar nicht in stressigen Situationen. Sind das trotzdem psychosomatische Schmerzen?
Dr. T. Weigl:
Manchmal zeigen sich die Auswirkungen von Stress oder anderen psychischen Belastungen nicht sofort in der jeweiligen Situation. Steht man beispielsweise über einen langen Zeitraum unter großem Stress, so kann dieser körperliche Reaktionen auslösen, auch wenn man sich nicht in der Situation befindet, die man mit Stress assoziiert (zum Beispiel auf der Arbeit). Die körperliche Reaktion auf psychische Einflussfaktoren gestaltet sich nicht wie beispielsweise eine allergische Reaktion, die sofort beim Kontakt mit dem Allergieauslöser eintritt. Psychosomatische Reaktionen zeigen sich häufig erst nach längerem Fortbestehen des psychischen Auslösers und hängen eher von anhaltendem Stress oder einer anhaltenden psychischen Belastung ab.
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Die hier beschriebenen Punkte (Krankheit, Beschwerden, Diagnostik, Therapie, Komplikationen etc.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird genannt, was der Autor als wichtig und erwähnenswert erachtet. Ein Arztbesuch wird durch die hier genannten Informationen keinesfalls ersetzt. Autoren: Dr. Dr. Tobias Weigl, Sarah SodkeRedaktion: Tobias Möller
Veröffentlicht am: 02.11.2018, zuletzt aktualisiert: 13.05.2019
Quellen
- Banaure u. a. (2007): Innere Medizin. Springer-Verlag, Heidelberg.
- International Association for the Study of Pain (2017): IASP Terminology. Pain.
- rme/aerzteblatt.de (2017): Wirksamkeit, Sicherheit und Anwendungsmöglichkeiten medizinischer Hypnose. Eine systematische Übersicht von Metaanalysen.
- Rainer Schaefert u. a. (2012): S3-Leitlinie Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden. Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM), Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM).
- Robert F. Schmidt, Hans-Georg Schaible (Hrsg.) (2005): Neuro- und Sinnesphysiologie, 5. Auflage. Springer, Heidelberg.
- Hans Walter Striebel (2002): Therapie chronischer Schmerzen, 4. Auflage. Schattauer Verlag, Frankfurt a. M.
Ohti
09.06.2020 14:26Die Diagnose der psychosomatischen Beschwerde habe ich auch bekommen. Doch ich will mich damit nicht abfinden, denn wenn Ärzte keine genauen Diagnosen durchführen, so ist das ganze Zweifelhaft.
Ich schildere mal meinen Fall:
Am 3. März 2020 überlastete ich meinen rechten Fuß. Trotz schmerzen arbeitete ich weiter. Eine Woche später machte ich einen Termin beim Orthopäden. Am 23.3. endlich den Termin. Kurz auf den Zehenspitzen stehen und Schmerzmittel (Tramal und Iboprufen). Eine Lumboischalgie wird diagnostiziert. Wöchentlich werden mir die Schmerzmittel verschrieben ohne weitere Untersuchung.
In der Zeit geht meine Bewegungsmöglichkeit immer weiter herunter. 17.4.20 Anfrage nach Physiotherapie. Diese wird bewilligt aber im Gegenzug neurologische Untersuchung.
18.4.20 erste Physiotherapie.
19.4.20 Corona Test (weil seit 17.3.20 Symptome, vorher bei Arztterminen verweigert)), da Kontaktperson positiv.
22.4.20 Positives Ergebnis.
24.4.20 Einweisung in KH. Feststellung einer Achillessehnenentzündung (ist tastbar). Verschreibung Matamizol mit Diclofenac.
2.5.20 ende Quarantäne. Fortsetzung Physiotherapie. Schmerzen in Wade (Verhärtungen) besetigt. Schmerzen im Oberschenkel bleiben, weil nach 6h Therapie beendet. Therapiefortsetzung lehnt Orthopäde ab.
27.5.20 Neurologische Untersuchung nur im Bezug auf Achillessehne.
6.6.20 zunehmender Schmerz. Wieder in Wade. Kalte Füße. Schmerzen Fußrücken (brennend). 8.6.20 Orthopäde sagt er kann nicht helfen (kein Medikament! nichts! einfach mit Schmerzen lassen)
9.6.20 Neurologie will nicht untersuchen weil wegen Achillessehne da! (Überweisungsschein, sagt Lumboischalgie). Das ganze sei Psychosomatisch. Leichte Neurologische Symptome.
Ich selbst habe durch eine Bekannte eine ABI durchführen lassen. Der Wert 120/145 Ergibt 0,82 was eine PAVK sein könnte.
Fakt ist dass in 3 Monaten nichts untersucht wird. Da wird Ischias Diagnostiziert, 4 Wochen später ganz klar Achillessehne (die Ruhigstellung als Sofortmaßnahme ist da nicht mehr möglich). Keine bandage, kein CT, kein MRT. Einfach keine Untersuchungen . Schmerzen? Schmerzmittel? egal!
Yasmin
14.09.2020 01:02Hallo, seitdem ich stressbedingt und wegen Essstörungen eine Gastritis hatte und darauf eine Sehnenentzündung und Blasenentzündung, die alle wieder abgeklungen sind, habe ich nun dauernd anhaltende Blasenschmerzen. Ich habe jedoch festgestellt, dass die Schmerzen weggehen, wenn ich fahrradfahre oder spazieren gehe und meinen Körper entspanne. Erst dadurch habe ich gemerkt, dass mein Körper sonst immer angespannt ist, was wohl unbewusst durch meine emotionale Last und innere Angespanntheit passiert. Ich habe dann oft das Gefühl, auf Toilette zu müssen durch das Schmerzempfinden. Wenn ich aber rausgehe und fahrradfahre, kann ich stundenlang unterwegs sein ohne Toilettendrang zu verspüren und die Schmerzen gehen auch weg. Daher denke ich, dass meine Symptome psychosomatisch sind…leider hat sich auch eine Art Hypochrondrie bei mir entwickelt, da ich durch Angst Symptome bekomme wie starkes Zittern, plötzliches Hitzegefühl und Herzklopfen…z.B. wenn ich nach der Ursache für bestimmte Krankheiten oder Symptome im Internet schaue. Alles hat damit angefangen, als ich die Gastritis hatte und mein Bauch so dick und angespannt war und ich dachte, dass ich einen Darmverschluss oder -durchbruch hatte und es mir so schlecht ging, dass ich sogar den Notarzt rief, nachdem ich soviel im Internet gelesen hatte und meine Symptome für einen Blinddarmdurchbruch sprachen. Im Endeffekt hatte ich wohl nichts lebensbedrohliches, sondern nur eine Gastritis und der Arzt hat mich auch noch fertiggemacht dafür, dass ich den Notarzt gerufen habe (da jemand anders wegen mir nun vllt. keinen Einsatzwagen mehr bekommt). Ich konnte das alles lange nicht vergessen und dachte oft, dass ich vielleicht Glück gehabt hatte. Ich bin psychisch eher labil und habe auch keine Menschen, die mir beistehen. Aber ich hatte solche Problematik früher nie – wie krieg ich das wieder weg?
Belinda Taboas
19.10.2021 22:52Hallo Yasmin,
Ich habe dein Beitrag gelesen und mir geht es ähnlich . Bei mir fing auch alles an mit Stress seelisch und körperlich. Nach einer Panikattacke auch mit Notarzt wurde es immer schlimmer. Blutuntersuchung, EKG ,
Frauenarzt, war alles okay. Da es mir seitdem auch nicht besser geht versuche ich über Internet heraus zu finden, was es sein könnte .Dabei bekomme ich auch starkes Zittern, Hitzegefühl und Herzrasen ….
Und auch ähnlich wie bei dir, wenn ich mich ablenke merke ich von den Symptomen gar nichts oder deutlich weniger. Ich weiß nicht ob die Symptome bei mir evtl. auch psychosomatisch sind. Inzwischen habe ich auch eine starke Angst entwickelt und traue mich nicht weitere Untersuchungen zu machen.
Mich würde interessieren ob es Dir inzwischen besser geht und was Du unternommen hast ?
Ich hatte so etwas auch noch nie und bin verzweifelt , weil ich nicht weiß was ich tun soll ?
Für eine Antwort wäre ich sehr dankbar
Vielen Dank