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Kinesio-Taping auf dem Prüfstand – Was sagt die Wissenschaft?

„Spätestens seit der Fußball-EM oder der Olympiade 2012 können den meisten die bunten Bänder an den Körpern der Athleten aufgefallen sein. Diese versprechen u. a. Leistungssteigerung und Verbesserungen der Beweglichkeit. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist das aber kaum nachgewiesen.“ — Dr. Tobias Weigl

Von Medizinern geprüft und nach besten wissenschaftlichen Standards verfasst

Dieser Text wurde gemäß medizinischer Fachliteratur, aktuellen Leitlinien und Studien erstellt und von einem Mediziner vor Veröffentlichung geprüft.

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Bei Kinesio-Taping handelt es sich um eine seit einigen Jahren bekannter werdende Methode, die vor allem in die Sportmedizin Einzug gehalten hat. Durch elastische Pflaster wird die Haut leicht angehoben, wodurch sich die Aktivität in den darunter liegenden Gewebeschichten verbessern soll. Dieser Ansatz soll u. a. dabei helfen, Schmerzen zu lindern, Muskel- und Bandverletzungen zu therapieren, die Gelenkbeweglichkeit zu verbessern, den Lymphabfluss zu fördern und vieles mehr. Gerade wenn eine Methode besonders viele Vorteile bieten soll, sollte man skeptisch sein. Ist das alles eigentlich wissenschaftlich belegt? Gibt es Beweise über den Nutzen von Kinesio-Taping? Diese Fragen sollen im nachfolgenden Artikel beantwortet werden.

„Kannst du dich noch erinnern, als Mario Balotelli das Tor gemacht und dann sein Trikot ausgezogen hat?“, fragt Torsten seinen Teamkollegen Micha, während die beiden einen Ball hin und her kicken. „Ja … und?“, fragt dieser irritiert und wundert sich: „Das ist doch nix besonderes. Hat halt Gelb bekommen dafür.“ – „Ja, schon klar“, sagt Torsten. „Aber der hatte auch so türkisfarbene Bänder auf dem Rücken. Das sind diese Kinesio-Tapes. Meinst du, wir sollten Trainer mal fragen, ob wir sowas auch bekommen?“, sagt er schmunzelnd, wohlwissend, dass bei ihnen in der Kreisliga kein Geld für sowas übrigbleibt.

Was ist eigentlich Kinesio-Taping?

Das Kinesio-Taping beschreibt eine Behandlungsmethode, bei der stark elastisches Klebeband auf die Haut aufgetragen wird, wo es dann eine Zeitlang verweilt und diverse positive Effekte hervorrufen soll. Dieses Klebeband wurde nach dem Vorbild der Haut entwickelt und weist dementsprechend eine Dehnbarkeit von 130–140 Prozent auf. Auch in Dicke und Gewicht sind sie den jeweiligen Hautabschnitten nachempfunden. Auf diese Weise garantieren sie maximale Bewegungsfreiheit – Träger der Tapes sind nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

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Das Tape besteht aus einem dehnbaren Baumwollstoff. Die darauf zu findende Klebeschicht ist frei von Allergenen und die Klebewirkung selbst entfaltet sich erst durch das Zusammenspiel mit der Körperwärme. Ist das Tape richtig angebracht – bspw. durch einen Physiotherapeuten, der im Umgang mit den Kinesiotapes geschult ist –, kann es für etwa eine Woche getragen werden. Auch duschen beeinflusst die Klebstärke nicht negativ.

Die Klebebänder sind auf zwei Arten erhältlich: Zum einen gibt es sie in Form von Rollen, bei denen Anwender selbst bestimmen können, in welchem Bereich sie das Tape nutzen wollen. Sie können dann Stücke in passender Länge und Breite abschneiden. Zum anderen existieren auch Bandzuschnitte, die für einzelne Anwendungen gedacht sind, bspw. für die Hand oder das Knie. Empfohlen wird eher, auf die erste Form zurückzugreifen. So kann man eigens Zuschnitte passgenau für den eigenen Körper anfertigen.

Ein vergleichbarer Hype ist um das sog. Faszientraining bzw. die Faszienrolle entstanden. In diesem Video geht Dr. Tobias Weigl auf den Sinn und Unsinn der Faszienrollen ein.

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Anwendungsgebiete von Kinesio-Taping

Wo Kinesio-Taping Anwendung findet, variiert je nach Beschwerdebild bzw. Profil. Manche Menschen nutzen es für die Rückerlangung struktureller Funktionen und die Neuausrichtung des Körpers nach chirurgischen Eingriffen. Sportler halten damit den Körper in Form und nutzen es zudem, um Verletzungen vorzubeugen. Im Alltag findet das Tape Anwendung in der Schmerzbehandlung sowie um die Körperhaltung zu erhalten und zu korrigieren. Das Kinesio-Taping findet demnach am häufigsten Anwendung in der Sportmedizin und der Physiotherapie.

Geschichte des Kinesio-Tapings

Seinen Ursprung hat das Kinesio-Taping in Japan. Es wurde im Jahr 1979 vom Akupunkteur und Chiropraktiker Dr. Kenzo Kase entwickelt, der festgestellt hat, dass die sog. Manuelle Therapie einen großen Einfluss auf die Schmerzbehandlung und die allgemeine Gesundheit hat. Allerdings musste er im gleichen Zug feststellen, dass dieser Effekt lediglich vorübergehend war. Er entwickelte das Kinesio-Taping, um die Effektivität der Manuellen Therapie  zu steigern. 1995 fand das Taping seinen Weg in die USA, 1996 gelangte es schließlich auch nach Europa.

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Gut zu wissen! Popularität durch internationalen Fußball

In Deutschland wurde das Kinesio-Taping erst 1998 bekannter. Alfred Nijhuis, damals Fußballprofi, spielte mehrere Jahre in Japan und konnte dort mithilfe der Bänder eine Verletzung überwinden. Danach etablierte er diese Form der Therapie auch im europäischen Raum.

Exkurs: Manuelle Therapie

Bei Manuellen Therapien steht der menschliche Bewegungsapparat im Fokus. Man kann die Manuelle Therapie grob als ‚Pflege durch die Hände‘ übersetzen. Diese Übersetzung trifft vor allem dadurch zu, da diverse Griff- sowie Mobilisationstechniken zum Einsatz kommen. Mit ihrer Hilfe kann man reversible, also umkehrbare, Veränderungen am Bewegungsapparat, bspw. Verkrampfungen und Anspannungen, behandeln.

Der Ursprung der uns heute bekannten Manuellen Therapie liegt in den USA der 50er-Jahre. Dort unterstrichen Freddy Kaltenborn und Geoffrey Maitland erstmals den positiven Effekt, wenn ein Therapeut bei aktiv ausgeführten physiotherapeutischen Übungen mit eingreift.

Wenn Sie mehr über den Nutzen von Manueller Therapie erfahren möchten, empfehlen wir die Lektüre der nachfolgenden Artikel:

Was verspricht das Kinesio-Taping?

Die Versprechen, die mit der Anwendung und dem Angebot von Kinesio-Taping einhergehen, sind zahlreich. Einsatzgebiete und Effekte sind z. B.:

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  • Muskel- und Bandverletzungen
  • Muskeltonusveränderungen
  • Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit
  • Schmerzlinderung
  • Behandlung von Schwellungen und Blutergüssen
  • Dysfunktionen der Faszien
  • Störungen des Lymphabflusses
  • Hyperalgesien
  • Nervenreizungen
  • Verbesserung der Körperwahrnehmung (sog. ‚Propriozeption‘)
  • Vorbeugung von Verletzungen
  • Leistungssteigerung

Das Tape wird unter Spannung auf die Haut aufgebracht. Sobald es klebt, zieht es sich dann wieder zusammen. Dies hebt unsere Oberhaut an, wodurch auch die darunter liegende Lederhaut und das noch weiter darunter liegende Gewebe gelockert werden sollen. Auf diese Weise soll der Druck in den einzelnen Gewebeschichten nachlassen. Das soll dazu beitragen, dass Blut und Lymphflüssigkeit besser fließen. Dadurch sollen Muskeln und Nerven besser mit Nährstoffen sowie Sauerstoff versorgt werden.

Überdies soll die elastische Verbindung des Tapes mit der Haut – das Tape geht mit der Haut mit – dafür sorgen, dass Muskeln, Faszien und Nerven gegeneinander verschoben werden. Dies habe einen Effekt ähnlich einer Massage.

Bewegen statt ruhigstellen

Außerdem soll ein Kinesio-Taping Vorteile gegenüber herkömmlichem Taping bzw. Gipsverbänden oder Schienen haben. Zwar werden diese ebenfalls eingesetzt, bspw. dann, wenn ein Gelenk ruhig gehalten werden muss. Allerdings hat Taping ohne Elastizität auch Nachteile. Denn die Muskelmasse wird in ruhiggestellten Körperbereichen abgebaut und die Nerven werden „träge“.

Beim Kinesio-Taping wird die Bewegung nicht eingeschränkt. Es fördert vielmehr die sogenannte Propriozeption. Dabei handelt es sich um die Eigenwahrnehmung, mithilfe derer wir im Zusammenspiel mit Kinesio-Taping einen harmonischen Bewegungsablauf erreichen können, vor allem unterstützend bei Verletzungen. Der Körper soll auf diese Weise zur Selbstheilung angeregt werden.

Kritik am Kinesio-Taping aus der Medizin

In einem Artikel der Ärztezeitung aus dem Jahr 2012 wird das Kinesio-Taping angesichts der zahlreichen Versprechen sarkastisch als „die sportliche Variante einer eierlegenden Wollmilchsau“ beschrieben. Was wirklich dran ist am Trend um das Kinesio-Taping, erfahren Sie im nachfolgenden Abschnitt, in dem das Thema aus einer rein wissenschaftlichen Perspektive betrachtet werden soll.

Exkurs: Der Hype ums Faszientraining

Ähnlich wie beim Kinesio-Taping kann man auch beim Faszientraining von einem Hype sprechen. Gerade dann, wenn eine Methode außergewöhnlich viele Versprechungen liefert, sollte man aufpassen.

Bei Faszien handelt es sich um Strukturen des Bindegewebes, die unseren ganzen Körper durchziehen. Sie ummanteln alle körpereigenen Strukturen, z. B. Sehnen, Muskeln, Organe und Knochen. So bilden sie ein Netzwerk mit vielfältigen Aufgaben und ermöglichen u. a. muskuläre Kraftübertragungen. In vielen medizinischen Bereichen, vor allem in der Sportmedizin, gewinnen sie zunehmend an Bedeutung.

Fakt ist aber: Bisher wurde noch kein wissenschaftlicher Nachweis für den Nutzen von Faszientraining erbracht. Das Verhältnis zwischen Versprechen und tatsächlichem Nutzen ist stark unausgeglichen. Denn im Rahmen vieler Untersuchungen, die sich mit dem Faszientraining befassen, wurden zwar Besserungen wie ein schwächerer Muskelkater o. Ä. nachgewiesen. Aber es ist nicht hinreichend erklärt, dass diese Erfolge in direktem Zusammenhang mit den Faszien und Training stehen. Denn es ist kaum möglich, die Faszien zu trainieren, ohne auch bspw. Muskeln zu beanspruchen.

Überdies birgt das Faszientraining, bspw. mithilfe einer sogenannten Faszienrolle, gar Gefahren. So begünstigt ein inkorrekt durchgeführtes Training mit einer solchen Rolle bspw. die Entstehung von Krampfadern. Weitere Risikofaktoren, die vor dem Faszientraining berücksichtigt werden sollten, sind:

Möchten Sie mehr über den Hype Faszientraining erfahren? Wir haben uns in zwei Artikeln im Detail mit dem Thema auseinandergesetzt, die Sie im Folgenden finden:

Zudem hat sich Dr. Tobias Weigl in einer dreiteiligen Video-Reihe ausgiebig mit dem Trend-Thema beschäftigt. Unter dem Motto „Jetzt ist die Zeit der Faszie“ führt er im ersten Beitrag in das Thema ein und erklärt zunächst, was Faszien überhaupt sind und welche Aufgaben sie in unserem Körper wahrnehmen.

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Kinesio-Taping aus der Perspektive der Wissenschaft – Welcher Nutzen ist bisher nachgewiesen?

Vorneweg soll gesagt sein: Die oben formulierten Versprechen können nach bisherigem Forschungsstand nicht allesamt eingehalten werden. Im Folgenden wird sich dieser Artikel einzelnen wissenschaftlichen Studien widmen und die essenziellen Ergebnisse ebendieser vorstellen.

Viele Forschungsarbeiten haben sich dem Thema Kinesio-Taping zugewandt, nachdem bei der Olympiade und der Fußball-EM 2012 immer mehr der bunten Bänder sichtbar wurden. Klaus Eder, Chef-Physiotherapeut der olympischen DFB-Auswahl, schätzte bereits 2012, dass etwa 30–40 Prozent aller Teilnehmer von Olympia mit den bunten Bändern ausgestattet waren. Seit dieser Zeit mehren sich demnach sowohl Studien als auch Übersichtsarbeiten zum Thema Kinesio-Taping.

Bereits 2009 unternahmen Forscher um Richard Ellis von der Auckland University of Technology in einer Literatursichtung den Versuch, das Kinesio-Taping aus wissenschaftlicher Perspektive zu bewerten. Sie kamen letztlich zu dem Schluss, dass die Behandlungsmethode in Bezug auf die muskuloskelettale Verfassung, also die Muskulatur und das Skelett betreffend, als klinisch nicht signifikant einzustufen sei.

Gut zu wissen! MSKE

Als muskuloskelettale Erkrankungen (kurz: MSKE) bezeichnet man mitunter entzündliche sowie degenerative Erkrankungen unseres Bewegungsapparats. Weltweit gelten MSKE als führende Ursache für chronische Schmerzen, körperliche Funktionseinschränkungen und eine verringerte Lebensqualität. Die drei häufigsten MSKE sind

In Deutschland zählen Beschwerden, Verletzungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates zu den häufigsten Leiden. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Erkrankung steigt mit zunehmendem Alter.

Kinesio-Taping nicht besser als traditionelle Ansätze

Mehran Mostafavifar von der Ohio State University und seine Kollegen besprechen in ihrer systematischen Übersicht aus dem Jahr 2012 die Effektivität von Kinesio-Taping bei muskuloskelettalen Verletzungen. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Nachweis für die Nutzung von Kinesio-Taping bislang unzureichend sei, wenngleich sie der Behandlung einen Nutzen hinsichtlich verringerter Schmerzen nicht absprechen. Letztlich betonen sie, dass es noch zu wenige Studien in Bezug auf ihre Fragestellung gebe.

Im Folgejahr 2013 kamen Morris von der Teesside University, seines Zeichens Physiotherapeut, und sein Team zu dem Schluss, dass bisher aus medizinischer Perspektive nur in unzureichendem Umfang Nachweis über die Wirksamkeit von Kinesio-Taping erbracht wurde. Zwar habe eine Studie eine Schmerzreduktion bei Plantarfasziitis festgestellt. Dies würde allerdings noch nicht die Behandlungsmethode in die klinische Praxis rechtfertigen und auch nicht, das Kinesio-Taping anderen Ansätzen vorzuziehen.

Ernüchternde Studienergebnisse

Im gleichen Jahr widmete sich ein Team um Alan Kalron von der Universität von Tel Aviv dem Taping unter der Fragestellung „Fact or fashion?“ (Fakt oder Mode?). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Kinesio-Taping kurzfristig zur Schmerzreduktion beitragen kann. Einen langfristigen Nutzen in diesem Zusammenhang konnten sie bisher aber nicht belegen. Zudem konnte kein Zusammenhang zwischen Kinesio-Taping und erhöhter Muskelstärke oder gesteigerter Bewegungsfreiheit nachgewiesen werden. Schmerzen bei Bewegungseinschränkungen könne Kinesio-Taping also kurzfristig reduzieren. Es seien aber nach wie vor eindeutig mehr Untersuchungen vonnöten.

In einer weiteren systematischen Übersichtsarbeit untersuchten Alicia Montalvo von der Florida International University und ihre Kollegen im Jahr 2014 den Effekt von Kinesio-Taping auf die Schmerzen von Patienten mit muskuloskelettalen Erkrankungen. Sie räumen im Schluss ein, dass eine Möglichkeit besteht, dass Kinesio-Taping die begrenzte Möglichkeit birgt, diese Schmerzen zu lindern. Allerdings sei diese Linderung abhängig von der Verfassung der Patienten ggf. nicht von klinischer Relevanz. Das Kinesio-Taping stellt laut der Arbeit weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung im Vergleich zu anderen Ansätzen dar. Sie schlagen letztlich vor, das Kinesio-Taping möglicherweise anstelle anderer traditioneller Methoden anzuwenden, wenngleich sie auch der Notwendigkeit für weitere Forschung Nachdruck verleihen.

Zu einem vergleichbaren Schluss kamen auch Patrícia do Carmo Silva Parreira von der Universidade Cidade de São Paulo und ihr Team in ihrer Studie zur praktischen Anwendung von Kinesio-Taping in der Praxis. Sie untersuchten die Wirksamkeit von Kinesio-Taping im Vergleich zum Sham-Taping und Placebos. Letztlich konnten sie festhalten, dass das Kinesio-Taping nur selten als besser bewertet wurde. Und wenn doch, sei der Effekt so minimal gewesen, dass er klinisch irrelevant sei.

Kinesio-Taping nutzlos?

Die systematischen Übersichten bezüglich des Nutzens von Kinesio-Taping erscheinen beinahe auf jährlicher Grundlage. 2015 gingen Edwin Choon Wyn Lim und Mathew Guo Xiang Tay vom Singapore General Hospital der Frage „Is it time to peel off the tape and throw it out with the sweat?“ nach (Ist es Zeit, das Tape abzuziehen und es mit dem Schweiß zu entsorgen?). Sie schlussfolgerten nach der Sichtung der Literatur allerdings, dass das Kinesio-Taping im Rahmen der Schmerzreduktion kleinen medizinischen Eingriffen überlegen ist. Trotzdem bemängeln auch sie die mangelnden Nachweise für die Behandlung muskuloskelettaler Erkrankungen im Vergleich zu bereits etablierten Ansätzen.

Nicole Nelson von der University of North Florida befasste sich 2016 mit dem Einfluss von Kinesio-Taping auf die Behandlung chronischer unterer Rückenschmerzen. Sie hält im Ergebnis fest, dass Kinesio-Taping nicht als Alternative zu Physiotherapie und Training betrachtet werden darf. Allerdings könne das Kinesio-Taping möglicherweise als zusätzlicher Therapiebaustein fungieren. Dieser könne den Bewegungsumfang sowie die muskuläre Ausdauer verbessern. Auch sie hält letztlich aber fest, dass weitere Studien vonnöten seien.

2017 untersuchten Ismail Saracoglu von der Dumlupinar-Universität und seine Kollegen die Wirksamkeit des Kinesio-Tapings in Zusammenhang mit dem sog. Impingement-Syndrom der Schulter. Bei dieser Erkrankung kommt es in der Regel durch eine Reizung oder Degeneration der Sehnen oder Schleimbeutel in der Schulter dazu, dass es dort „zu eng“ wird. Vor allem das Heben des Arms sowie Überkopfbewegungen bereiten Betroffenen dann starke Schmerzen. Die Forscher schlussfolgern, dass sich das Kinesio-Taping vor allem anfangs und in Kombination mit anderen Ansätzen der Physiotherapie bei einem Schulter-Impingement eignet. Auch sie betonen aber, dass weitere belastbare Studien vonnöten seien.

Dem Kinesio-Taping kommt auch in der Behandlung von Lymphödemen, die mit Brustkrebs im Zusammenhang stehen, eine Bedeutung zu. Sie sollen in diesem Kontext den Lymphfluss wiederherstellen und das Ödem so verkleinern. Karina Tamy Kasawara von der Universität von Campinas in Brasilien und ihre Kollegen untersuchten diese Vermutung in ihrer Arbeit aus dem Jahr 2018 und kamen zu dem Schluss, dass Kinesio-Taping vor allem bei Lymphödemen infolge einer Entfernung der Brustdrüsen Wirkung zeigten. Allerdings räumen sie ein, dass das Kinesio-Taping anderen Methoden dabei nicht überlegen sei.

Zusammengefasst

Der Nutzen von Kinesio-Taping ist folglich aus wissenschaftlicher Perspektive weitestgehend ungeklärt bzw. nicht ausreichend nachgewiesen. Zwar ist es teilweise möglich, über einen kurzen Zeitraum Schmerzen zu lindern, indem man die Tapes trägt. Doch ist weder der langfristige Nutzen noch der Nutzen als Alternative für herkömmliche Behandlungsmethoden ersichtlich. In vielen der obengenannten Studien sind minimale Effekte nachweisbar, die allerdings in den meisten Fällen als klinisch nicht relevant eingestuft werden. Es konnte eine positive Wirkung von Kinesio-Taping auf die Behandlung von Lymphödemen gezeigt werden. Allerdings ist auch hier die klinische Relevanz nicht gegeben, da sich das Taping nicht besser dafür eignet als herkömmliche Methoden.

In einem Punkt ist sich die Forschung einig: Es muss hinsichtlich der Wirksamkeit des Kinesio-Tapings noch weiter geforscht werden. In vielen Ansätzen zeigen sich mögliche positive Effekte der Behandlungsmethode, aber nur wenig davon ist in ausreichendem Maße belegt oder klinisch relevant.

Wann ist vom Taping abzusehen?

Auch wenn das Taping in der Regel nicht mit Nebenwirkungen einhergeht, gibt es bestimmte Umstände, unter denen Sie das Taping nicht anwenden sollten. In diesem Fall spricht man von sogenannten Kontraindikationen. Diese sind einzuteilen in eine absolute und eine relative.

Eine absolute Kontraindikation liegt dann vor, wenn aufgrund zu erwartender negativer Auswirkungen eine geplante Maßnahme nicht stattfinden kann. Dazu zählen im Zusammenhang mit dem Kinesio-Taping:

  • Allergische Reaktionen auf Inhaltsstoffe des Materials, aus dem das Tape besteht (Symptome sind bspw. Jucken, Brennen, Bildung von Blasen)
  • Hautdefekte (bspw. offene Wunden, Herpes Zoster, chronische Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Erysipel)
  • Hautareal, das bei der Tumortherapie bestrahlt wird
  • Fieber mit unklarer Ursache
  • offene Brüche

Unter einer relativen Kontraindikation versteht man, dass eine geplante Maßnahme stattfinden kann, wenn der entstehende Nutzen den mutmaßlichen Schaden überwiegt. Im Zusammenhang mit dem Kinesio-Taping zählen dazu:

  • Schwangerschaft (aufgrund der unzureichenden Studienlage)
  • Gefäßerkrankungen (bspw. Lymphangitis, Thrompophlebitis, akute Thrombose)
  • Sensibilitätsstörungen (z. B. Parästhesien bzw. Taubheitsgefühle)
  • Medikamenteneinnahme

Es ist angesichts dieser hier genannten Punkte besonders wichtig, vor der Anwendung eines Tapings Rücksprache mit einem Arzt zu halten.

Haben Sie schon einmal Kinesio-Tapes ausprobiert? Wenn ja: Was wollten Sie mit dem Taping erreichen? (Mehrfachnennungen möglich) Mit Ihrer Teilnahme an dieser Umfrage helfen Sie anderen Menschen dabei, ihre Situation besser einschätzen zu können.

Häufige Patientenfragen

Kann man durch Kinesio-Taping die eigene Maximalkraft beeinflussen?

Dr. T. Weigl:
Das lässt sich allgemein nicht so leicht beantworten. Denn bei der Kraft unterscheidet man zwischen einer isometrischen, einer isotonischen, einer isokinetischen und einer auxotonischen Kraft. Es gibt derzeit nur eine Untersuchung bezüglich der isometrischen Kraft – also derjenigen Kraft, die entsteht, wenn der Muskel lediglich angespannt, nicht aber verkürzt wird. Ein Beispiel ist das Halten eines schweren Gegenstands. Das Ergebnis ist ernüchternd: Laut einer Studie hat das Taping keinen signifikanten Einfluss auf Maximalkraft, Ermüdungsresistenz oder Muskeltonus. In diesem Bereich ist noch weitere Forschung erforderlich, vor allem bzgl. der anderen Kraftarten.

Was genau ist das Problem bei Taping und Schwangerschaft? Wieso sollte man darauf lieber verzichten?

Dr. T. Weigl:
Das Problem ist die unzureichende Studienlage. Gerade bei problematisch verlaufenden Schwangerschaften könnte ein Tape im Bereich des Bauchs oder Rückens unerwünschten Einfluss auf die Organe nehmen. Und ebendieser Einfluss ist durch die bisher dürftige Studienlage nicht vorhersagbar. Ein Taping sollte unter diesen Umständen also nur mit Vorsicht Anwendung finden.

Im Artikel steht, dass Arthrose eine sehr häufige muskuloskelettale Erkrankung ist – aber worum genau handelt es sich bei Arthrose?

Dr. T. Weigl:
Arthrose ist die häufigste aller Gelenkkrankheiten. Der Gelenkknorpel nutzt sich über den natürlichen Verschleiß im Verlauf des Alterungsprozesses ab. Der Knorpel puffert den Raum zwischen zwei Knochen im Gelenk. Mit der Zerstörung des Knorpels, vergleichbar mit dem Abnutzen eines Reifenprofils, kommt es letztlich dazu, dass Knochen in einem Gelenk direkt aufeinander reiben. Die Leitsymptome der Arthrose sind Schmerzen sowie der Funktionsverlust von Gelenkeinheiten. Allerdings kann sich eine Arthrose anbahnen, teils über mehrere Jahre, und man selbst bekommt davon zunächst gar nichts mit. Erste Funktionseinschränkungen weisen dann auf das Vorliegen arthrotische veränderter Gelenke hin. Die Arthrose kann jedes Gelenk betreffen, am häufigsten betroffen sind aber die Hüfte, das Knie, das Daumensattelgelenk, die Schulter, der Ellenbogen sowie die Wirbelsäule.

Wenn Sie mehr über Arthrose erfahren möchten, empfehle ich zum Einstieg den allgemeinen Artikel „Stimmt die Arthrose-Lüge? – Arthrose Symptome & Behandlung“, in dem es vor allem darum geht, inwiefern sich Arthrose tatsächlich behandeln lässt. Denn heilbar ist die Erkrankung bis heute leider nicht.

Des Weiteren habe ich mich auch in diversen Videos mit dem Thema Arthrose auseinandergesetzt. Als Einstieg empfehle ich hier den folgenden Beitrag, in dem ich erkläre, wieso man überhaupt von Arthrose-Lüge spricht und welchen Einfluss eine Operation auf die Therapie der Arthrose hat.

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Torsten hat sich jetzt einfach mal informiert. Bücher gibt’s dazu ja schon ein paar. Selbst die berühmten Ärzte, bspw. Müller-Wohlfahrt, nutzen die Bänder beim Training. Das soll dabei helfen, Verletzungen vorzubeugen. Ein Punkt, der für Torsten besonders interessant ist. Er hat sich nämlich schon öfter am Sprunggelenk verletzt. Er beschließt, sich probehalber mal eine Rolle Tape zu bestellen. Mehr als Geld rausschmeißen kann das ja nicht sein. Und wenn der große Bayern-Arzt die Tapes zur Anwendung freigibt, ist wohl auch von keiner Gefahr auszugehen.

Verwandte Themen

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Kinesio-Taping gemacht? Möchten Sie sich bei uns weiter über das Thema erkundigen? Nutzen Sie unsere Kommentarfunktion unten, um von Ihren Erfahrungen zu berichten und sich mit anderen auszutauschen!

Autoren: Dr. Tobias Weigl, Tobias Möller
Redaktion: Marek Firlej
Veröffentlicht am: 23.01.2019

Die hier beschriebenen Punkte (Krankheit, Beschwerden, Diagnostik, Therapie, Komplikationen etc.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird genannt, was der Autor als wichtig und erwähnenswert erachtet. Ein Arztbesuch wird durch die hier genannten Informationen keinesfalls ersetzt.

Quellen

  • Richard Ellis u. a. (2009): The use and treatment efficacy of kinaesthetic taping for musculoskeletal conditions: a systematic review. In: NZ Journal of Physiotherapy 38/2, S. 56–62.
  • Alon Kalron (2013): A systematic review oft he effectiveness of Kinesio Taping — fact or fashion? In: European journal of physical and rehabilitation medicine 49/5, S. 609–709.
  • Karina Tamy Kasarawa (2018): Effects of Kinesio Taping on breast cancer-related lymphedema: A meta-analysis in clinical trials. In: Physiotherapy Theory and Practice 34/5, S. 337–345.
  • Aliana Kim (2016): Kinesiology Taping for Rehab and Injury Prevention – An Easy, At-Home Guide for Overcoming Common Strains, Pains and Conditions. Ulysses Press, Berkeley.
  • Edwin Choon Wyn Lim, Mathew Guo Xiang Tay (2015): Kinesio taping in musculoskeletal pain and disability that lasts for more than 4 weeks: is it time to peel off the tape and throw it out with the sweat? A systematic review with meta-analysis focused on pain and also methods of tape application. In: British Journal of Sports Medicine 49/24, S. 1558–1566.
  • Alicia M. Montalvo (2014): Effect of Kinesiology Taping on Pain in Individuals With Musculoskeletal Injuries: Systematic Review and Meta-Analysis. In: The Physician and sportsmedicine 42/2, S. 48–57.
  • Morris u. a. (2013): The clinical effects of Kinesio® Tex taping: A systematic review. In: Physiotherapy Theory and Practice 29/4, S. 259–270.
  • Mehran Mostafavifar u. a. (2012): A systematic review of the effectiveness of kinesio taping for musculoskeletal injury. In: The Physician and sportsmedicine 40/4, S. 33–40.
  • Nicole L. Nelson (2016): Kinesio taping for chronic low back pain: A systematic review. In: Journal of Bodywork and Movement Therapies 20/3, S. 672–681.
  • Patrícia do Carmo Silva Parreira u. a. (2014): Current evidence does not support the use of Kinesio Taping in clinical practice: a systematic review. In: Journal of Physiotherapy 60/1, S. 31–39.
  • Björn Regulski (2013): Effekte des elastischen Tapings auf das neuromuskuläre System. Dissertation Marburg.
  • Ismail Saracoglu u. a. (2018): Does taping in addition to physiotherapy improve outcomes in subacromial impingement syndrome? A systematic review. In: Physiotherapy Theory and Practice 34/4, S. 251–263.
  • Sascha Seifert (2015): Kinesiologisches Taping in Osteopathie und Manueller Therapie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
  • Christine Starostzik (2012): Kinesio-Tapes – Psychodoping, Kraftverstärker oder Show? In: aerztezeitung.de.
  • Daniel Weiss (2014): Taping – Selbsthilfe bei Muskelschmerzen und anderen Beschwerden. Gräfe und Unzer, München.
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